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Der Gravitostat: Hilft das Tragen von zusätzlichem Gewicht, wie z.B. Gewichtswesten, tatsächlich beim Abnehmen?

Das Gravitostat: Hilft das Tragen von zusätzlichem Gewicht, wie z.B. Gewichtswesten, tatsächlich beim Abnehmen?

Zusätzliche Gewichte, etwa in Form von Ketten, Hantelscheiben (samt Dip-Gürtel) oder Gewichtswesten, werden bereits seit etlichen Jahrzehnten von Trainierenden eingesetzt, um ein progressives Training zu gestalten und damit die Kraft- und Muskelmassezuwächse zu fördern. Aber können sie uns, z.B. in einer Kombination mit einer Diät, dabei helfen, schlanker und definierter zu werden – also Fett zu verlieren?

Bevor wir uns eingehender mit dieser Frage auseinandersetzen, möchte ich dir vorher einen kleinen Crash-Kurs zu einem überaus wichtigen Konzept geben, der für ein besseres Verständnis der menschlichen Physiologie sorgen wird.

Homöostatische Regulation physiologischer Prozesse

Eine Vielzahl von Krankheiten lässt sich durch eine Störung homöostatischer Mechanismen erklären. Das Konzept der Homöostase (ein Begriff, der sich aus dem altgriechischen Wort „homoiostásis“ herleitet und so viel wie Gleichstand oder Gleichgewicht bedeutet), welches im 19. Jahrhundert durch die Physiologen Claude Bernard und Walter B. Cannon geprägt und beschrieben wurde (7)(8)(9), erwies sich als überaus vorteilhaft, wenn es darum ging ein besseres Verständnis über die menschliche (und tierische) Physiologie, sowie die Entstehung und Progression von Krankheiten zu erhalten.

Schema eines generischen homöostatischen Regelsystems. Wenn der Wert der Regelgröße gestört ist, stellt dieses System den Wert wieder auf den Sollwert (Set-Point) - ein und wird daher auch als System mit negativer Rückkopplung bezeichnet. (Bildquelle: Modell et al., 2015)

Schema eines generischen homöostatischen Regelsystems. Wenn der Wert der Regelgröße gestört ist, stellt dieses System den Wert wieder auf den Sollwert (Set-Point) - ein und wird daher auch als System mit negativer Rückkopplung bezeichnet. (Bildquelle: Modell et al., 2015)

Dabei lässt sich die Homöostase als eine Art von natürlicher Resistenz gegen Veränderungen verstehen, wobei die Variablen verschiedener Körpersysteme, wie z.B. Temperatur und Flüssigkeitshaushalt, innerhalb einer vorgegebenen Grenze – dem homöostatischen Bereich - gehalten werden. Und dies trifft auch auf unser Körpergewicht und den Körperfettanteil zu (siehe hierzu auch die „Set Point“-Theorie).

Als ein Team aus Forschern im Jahr 1994 die Existenz des Fetthormons Leptin in Tier und Mensch nachweisen konnte (6), entdeckte man zugleich den ersten (bis dato bekannten) homöostatischen Regulator der Körperfettmasse, wobei man zunächst davon ausging, dass sich die Entstehung von Fettleibigkeit auf einen Hormonmangel für besagtes Leptin zurückführen lässt und das eine exogene Gabe des Hormons zu einer Rückkehr zur Homöostase, nämlich einem gesunden Körpergewicht, beitragen würde (10)(11)(12)(13).

Was initial als Durchbruch und potenzielles „Heilmittel“ gegen Übergewicht gefeiert wurde, erwies sich in den nachfolgenden Jahren leider als Fehlschlag. Zwar spielt das „Schlankheitshormon“ eine wichtige Rolle bei der Körperfettregulation, allerdings scheinen übergewichtige Menschen nicht – wie zuvor angenommen – an einem Leptinmangel zu leiden. Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall: Fettleibigkeit führt zu erhöhten Leptinspiegeln, die zu einer Leptinresistenz beitragen, so dass sich eine exogene Zufuhr des Hormons nicht als zielführend erweisen würde. Dieser Umstand deutet darauf hin, dass es noch weitere homöostatische Regulatoren für die Körperfettmasse gibt, die einen Beitrag zur Entstehung von Übergewicht leisten (14)(15)(16)(17)(18)(19).

Wahrnehmung des Körpergewichts für die Fettmasse- Homöostase bei Ratten und Mäusen mit diätetischer Adipositas. (A) Auswirkung der Belastung auf die Veränderung des biologischen Körpergewichts (= Gesamtkörpergewicht - Zusatzgewicht) bei Ratten (n=8) und (B) Mäusen (n=10), denen Kapseln mit einem Gewicht von 15 % des Körpergewichts (Belastung) oder leere Kapseln (Kontrolle; ∼1,5 % bzw. ∼3 % des Körpergewichts bei Ratten und Mäusen) implantiert wurden. (Bildquelle: Jansson et al., 2018)

Wahrnehmung des Körpergewichts für die Fettmasse-Homöostase bei Ratten und Mäusen mit diätetischer Adipositas. (A) Auswirkung der Belastung auf die Veränderung des biologischen Körpergewichts (= Gesamtkörpergewicht - Zusatzgewicht) bei Ratten (n=8) und (B) Mäusen (n=10), denen Kapseln mit einem Gewicht von 15 % des Körpergewichts (Belastung) oder leere Kapseln (Kontrolle; 1,5 % bzw. 3 % des Körpergewichts bei Ratten und Mäusen) implantiert wurden. (Bildquelle: Jansson et al., 2018)

Unser Körpergewicht scheint ein solcher Fettmasse-Regulator zu sein

Aktuelle Untersuchungen, die bisher primär im Tiermodell durchgeführt wurden, stützen die Annahme, dass eine „künstliche“ Erhöhung des Gewichts (z.B. durch eine zusätzliche Last in Form von Gewichtsmanschetten) zu einer Abnahme des Körpergewichts und der Fettmasse führt (3)(5)(20), die zudem Leptin-unabhängig ist (3)(5). Die beteiligten Forscher bezeichnen diesen homöostatischen Regulator der Fettmasse als Gravitostat.

Nun ist es selbstverständlich so, dass sich nicht alle Erkenntnisse, die wir aus einem Tiermodell gewinnen, auf den Menschen übertragen lassen, daher besteht der nächste Schritt darin zu untersuchen, inwiefern sich so ein Gravitostat auch im Menschen nachweisen lässt. Ein solche Studie wurde in den letzten Jahren tatsächlich veröffentlicht.

Lass‘ uns also am besten schauen, ob das Tragen einer Gewichtsweste im Alltag dir bei einer erfolgreichen Gewichts- und Fettreduktion helfen kann. (...)


Dieser Artikel erschien in der 11/2022 Ausgabe des Metal Health Rx Magazins.

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Bildquelle Titelbild: fotolia / Parilov


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