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Kann der Körper mehr als 30g Protein auf einmal aufnehmen?

Kann der Körper mehr als 30g Protein auf einmal aufnehmen?

Es gibt nur wenige Behauptungen, die sich so hartnäckig in Bodybuilderkreisen hält die wie diese hier:

Dein Körper kann nur eine geringe Menge (meist 30 Gramm) an Protein pro Mahlzeit aufnehmen, daher solltest du die Proteinzufuhr über den Tag hindurch auf viele kleine Mahlzeiten aufteilen.

Wer eine solche These – ohne weiter zu hinterfragen – schluckt und anschließend wiederum brühwarm seinen Kollegen auftischt (Merke: ein ewiger Kreislauf), der darf sich mit Fug und Recht zu einem erlesenen Personenkreis zählen, den kritische Stimmen als Bro-Scientologen bezeichnen würden.

Auch wenn es gute Gründe geben mag, wieso man seinen Proteinbedarf auf mehrere Mahlzeiten aufteilen sollte, so zählt die Argumentation „weil der Körper nicht mehr als 30 Gramm pro Mahlzeit aufnehmen kann“ definitiv nicht dazu.

Kann der Körper mehr als 30g Protein auf einmal aufnehmen?

Dem Mythos auf der Spur

Das menschliche Verdauungssystem ist zugegebenermaßen sehr komplex. So komplex, dass wir nun nicht allzu tief ins Detail gehen können, doch lasst euch folgendes auf der Zunge zergehen: Wenn der Homo sapiens lediglich 30 Gramm des wichtigsten Baustoffes unseres Körpers pro Mahlzeit aufnehmen könnte, hätten es unsere Vorfahren wohl kaum durch die Steinzeit geschafft oder schwere Hungerperioden überstanden. Der Mensch wäre ausgestorben und wir würden heute nicht über das Internet miteinander kommunizieren (und ich würde diesen Artikel nicht schreiben).

Es ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Theorie, die von vielen Kraftsportlern in Studios wie ein Mantra heruntergebetet wird, seinen Ursprung in der Anfängen der Supplementindustrie nimmt. Stell dir einmal vor, dass du ein Produkt entwickelt hast (Proteinpulver), welches du nun an den Mann bringen willst. Um den Absatz des Produkts zu steigern, gibt es nun zwei Wege:

  1. Man erweitert das Kundenspektrum (Was durch den Boom von Fitnessstudios geschehen ist)
  2. Man sorgt dafür, dass die bereits erschlossene Kundschaft mehr vom selben Produkt kauft.

Um also die verkaufte Menge zu erhöhen, behauptet man nun einfach, dass der Körper ohnehin nur eine kleine Menge an Protein aufnehmen kann. Und wer will schon alle 3 Stunden eine richtige Mahlzeit einnehmen? Das ausgesprochen bequeme Proteinpulver in der pauschalen Dosierung von 30 Gramm ist salonfähig geworden und jeder schreit danach. Die Kassen klingeln.

Der 30 Gramm Mythos lässt sich einfach erklären: Die Supplementindustrie hatte in der Vergangenheit ein generelles Interesse daran, den Absatz von Protein-Supplementen zu steigern. Wie sonst könnte man dies einfacher erreichen, als mit einem Gerücht, welches besagt, dass der Körper nur über begrenzte Kapazitäten zur Proteinaufnahme besitzt?

Der 30 Gramm Mythos lässt sich einfach erklären: Die Supplementindustrie hatte in der Vergangenheit ein generelles Interesse daran, den Absatz von Protein-Supplementen zu steigern. Wie sonst könnte man dies einfacher erreichen, als mit einem Gerücht, welches besagt, dass der Körper nur über begrenzte Kapazitäten zur Proteinaufnahme besitzt? (Bildquelle: Fotolia / korchemkin)

Proteinabsorption: Eine metabolische Bestandsaufnahme

Alles was wir im Verlauf von einem Tag zu uns nehmen, passiert gezwungenermaßen den Magen, bevor es zum eigentlichen Aufnahmepunkt, dem Darm, gelangt. Die zerkaute Nahrung landet in einer ätzenden Substanz, der Magensäure, wo sie dann schrittweise dank spezieller Enzyme in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt wird. Der Brei, der daraus entsteht, nennt sich Chymus. Da dieser Vorgang je nach Mahlzeitenzusammensetzung (feste Nahrung) mehrere Stunden benötigt, ist es oftmals gar nicht so unwahrscheinlich, dass Frühstück und Mittagessen bzw. Mittagessen und Abendbrot zur gleichen Zeit im Magen sind und zu einem größeren Chymus „fusionieren“ (das hängt im Wesentlichen von der Größe und Zusammensetzung der Mahlzeit ab).

Aminosäuren werden wie alle anderen Nährstoffe im Darm resorbiert und durch bestimmte Transporter im Körper verteilt. Natrium-abhängige Transporter (Na) sind neben Chlorid-abgängigen Transportern (Cl) dafür üblich – sie nehmen zum Beispiel neutrale oder geladene Aminosäuren zum Transport auf. Diese Transporter werden teilweise von Ionen unterstützt. Daneben können auch ganze Peptide (kleine Aminosäureketten) über einen PEPT-1-Transporter befördert werden.

Die Anzahl der Transporter stellt die limitierte Aufnahmerate von Aminosäuren dar.

Die Aufnahme von Aminosäuren wird in der Regel über die im Stuhl enthaltenen Aminosäuren bestimmt (Stickstoffausscheidung). Die Effizienz der Aufnahme von Protein über den oralen Weg liegt dabei meist bei 91-95% in Abhängigkeit der Proteinquelle und einer nennenswerten akuten Dosis (10-50g auf einmal). (3)(4)(5). Die stündliche Aufnahmerate von Protein über den Darm schwankt zwischen 5-10 Gramm.

Dünndarm: Der Ort der Aufnahme & Aminosäurespeicher

Unter Standardbedingungen werden 95 % aller Proteine im Dünndarm aufgenommen und in den systemischen Kreislauf überführt (6)(7). Der nicht aufgenommene Anteil landet im Dickdarm, wo er Bakterien als Nahrungsquelle dient (8). Da der Dünndarm einen Teil davon für sich beansprucht (schließlich benötigt er ebenfalls Nährstoffe), verfügt er auch über einen Aminosäurespeicher, über den er Aminosäuren nach Bedarf aufnehmen und wieder freisetzen kann (auch bekannt als „freier Aminosäurepool“) (7)(9).

Befindet sich eine große Menge an Aminosäuren im Darm, wird die Resorption verlangsamt. Isst du in einem bestimmten Zeitraum weniger Protein, beschleunigt sich die Aufnahme. Isst du dagegen viel, wird sie langsamer (10)(11)(12) – ein Prozess der über das Verdauungshormon CCK gesteuert wird.

Dünndarm: Der Ort der Aufnahme & Aminosäurespeicher

Verschiedene Faktoren, darunter Hormone und Enzyme (darunter Leptin, CCK, PYY3-36 und GLP-1) beeinflussen die Nahrungsaufnahme und die Entleerung des Darms. (Bildquelle: Dockray et al, 2009)

So zeigten Studien an Frauen, die beispielsweise 54g an Protein – entweder zu einer Mahlzeit oder aufgeteilt auf 4 Mahlzeiten – aufnahmen, keinerlei Unterschiede (1)(13). Tatsächlich fand man heraus, dass mit zunehmendem Alter der Person die konzentriertere Form der Proteinaufnahme (Mehr Protein zu einer einzigen Mahlzeit) effektiver ist (sog „Pulse Feeding“) (1)(14).

Die hier dargelegten Punkte könnten auch der Grund dafür sein, dass ein solches Ernährungskonzept wie das Intermittent Fasting so gut funktioniert (2)(15)(16).

Abschließende Worte

Ob 30 Gramm pro Mahlzeit oder 50 Gramm (80 Gramm usw.): Es scheint bzgl. Resorption keinen so großen Effekt zu haben, wie einem viele Leute weismachen wollen.

  • Der Körper reguliert die Proteinaufnahme nach eigenem Bedarf und je mehr Protein aufgenommen wird, desto langsamer erfolgt die Resorption (CCK).
  • Der Körper verfügt über einen Aminosäurepool (Speicher für Aminosäuren), welcher niemals leer ist. Hieraus wird je nach Bedarf Protein gespeichert oder freigesetzt.
  • Forscher haben gezeigt, dass sich die Proteinsynthese mit zunehmendem Alter besser stimulieren lässt, wenn auf eine pulsatile Proteinzufuhr gesetzt wird (d.h. weniger kleinere proteinbetonte Mahlzeiten, sondern Wenige mit hoher Proteinmenge).

Der 30 Gramm Mythos der Proteinaufnahme – wir haben ihn soeben entzaubert.

Quellen & Referenzen

(1) Minichowski, D. (2011): Mythos: Maximale Proteinaufnahme in einer Mahlzeit. In: AesirSports.de. URL:  http://aesirsports.de/2011/12/mythos-maximale-proteinaufnahme-in-einer-mahlzeit/.

(2) Stote et al. (2007): A controlled trial of reduced meal frequency without caloric restriction in healthy, normal-weight, middle-aged adults. In: The American Journal of Clinical Nutrition. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17413096.

(3) Mariotti et al. (1999): Nutritional Value of {15N}-Soy Protein Isolate Assessed from Ileal Digestibility and Postprandial Protein Utilization in Humans. In: The Journal of Nutrition. URL: http://jn.nutrition.org/content/129/11/1992.abstract.

(4) Gaudichon et al. (1999): Net Postprandial Utilization of {15N}-Labeled Milk Protein Nitrogen Is Influenced by Diet Composition in Humans. In: The Journal of Nutrition. URL: http://jn.nutrition.org/content/129/4/890.abstract.

(5) Luiking et al. (2005): Casein and soy protein meals differentially affect whole-body and splanchnic protein metabolism in healthy humans. In:  The Journal of Nutrition. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15867285.

(6) Deutz et al. (1995): Increased intestinal amino-acid retention from the addition of carbohydrates to a meal. In: Clinical Nutrition. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16843957.

(7) Ten Have et al. (2007): Absorption kinetics of amino acids, peptides, and intact proteins. In: International Journal of Sports Nutrition and Exercise Metabolism. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18577772.

(8) Zebrowska et al. (1976): [Secretion of endogenous amino acids in the gastrointestinal tract and amino acid resorption in the swine]. In: Archiv für Tierernährung. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/962584.

(9) Soeters et al. (2001): The protein sparing function of the gut and the quality of food protein. In: Clinical Nutrition. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11327735.

(10) Dockray, GJ. (2009): Cholecystokinin and gut-brain signalling. In: Regulatory Peptides. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19345244.

(11) Chandra, R. / Liddle, RA. (2007): Cholecystokinin. In: Current Opinion in Endocrinology, Diabetes and Obesity. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17940422.

(12) Storr et al. (2003): Endogenous CCK depresses contractile activity within the ascending myenteric reflex pathway of rat ileum. In: Neuropharmacology. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12646289.

(13) Arnal et al. (2000): Protein feeding pattern does not affect protein retention in young women. In: The Journal of Nutrition. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10867039.

(14) Arnal et al. (1999): Protein pulse feeding improves protein retention in elderly women. In: The American Journal of Clinical Nutrition. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10357740.

(15) Minichowski, D. (2011): Intermittent Fasting – Ein Leangains Approach. In: AesirSports.de. URL: http://aesirsports.de/2011/12/intermittent-fasting-ein-leangains-approach/.

(16) Soeters et al. (2009): Intermittent fasting does not affect whole-body glucose, lipid, or protein metabolism. In: The American Journal of Clinical Nutrition. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19776143.

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Bildquelle Titelbild: Fotolia / Iblinova


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