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Woher kommt der Appetit auf kalorienreiches Junk Food nach einer schlaflosen Nacht?

Wer (zu) wenig schläft, der hat am nachfolgenden Tag häufig mit einem erhöhten Appetit- und Hungergefühl zu kämpfen. Nach einer solchen schlaflosen Nacht fällt es Betroffenen häufig schwerer zu kalorienreichem Junk Food – wie etwa Pizza, Pommes und Co. – “Nein” zu sagen. Hieraus erwächst die berechtigte Frage, wieso ungesunde Lebensmittel eine so starke Anziehung auf uns ausüben, wenn der Schlaf mal wieder zu kurz gekommen ist.

Wissenschaftler der Northwestern University haben womöglich einen wertvollen Hinweis gefunden, der aufzeigt, wie sich unsere Entscheidungsfindung bei der Auswahl unserer Lebensmittel verändert (1).

Woher kommt der Appetit auf kalorienreiches Junk Food nach einer schlaflosen Nacht?

Schlafmangel, Geruchswahrnehmung und das Endocannabinoid-System

Die Arbeit, welche dieses Jahr im eLife Journal erschienen ist, lässt vermuten, dass das olfaktorische System des Körpers eine wichtige Rolle spielt – einerseits nehmen wir Lebensmittelgerüche nach einer schlaflosen Nacht viel deutlicher und stärker wahr, während andererseits die Kommunikation in bestimmten Hirnarealen beeinträchtigt wird.

Laut Senior-Autor Thorsten Kahnt, einem Assistenzprofessor für Neurologie an der Northwestern University, erhalten bestimmte Regionen im Gehirn nicht genügend Informationen, was zu einer Überkompensation führt, die dazu beiträgt, dass wir uns für Mahlzeiten und Lebensmittel entscheiden, die kalorienreicher sind.

Ein zusätzlicher, begünstigender Faktor könnte sein, dass die geschärften Signale im olfaktorischen Kortex von den betroffenen Regionen im Gehirn nicht korrekt registriert/verarbeitet werden, so dass wir uns eher für Dinge, wie Pizza und Doughnuts entscheiden, wenn wir hungrig sind.

Vergangene Arbeiten konnten aufzeigen, dass ein Mangel an Schlaf zu einer gesteigerten Produktion an Endocannabinoiden führt (5), welche eine wichtige Funktion bei der Steuerung physiologischer Prozesse (darunter Appetit, Schmerzwahrnehmung, Stimmung und Gedächtnis) spielen (3)(4). In einem solchen Kontext kann eine veränderte (gesteigerte) Geruchswahrnehmung von Lebensmitteln einen Einfluss darauf haben, für welche Nahrungsmittel und Mahlzeiten wir uns entscheiden.

Die Studie: Schlafmangel verändert Ernährungsentscheidung

Im Zuge ihrer Arbeit wollten Kahnt et al. herausfinden, inwiefern ein verändertes Ernährungsverhalten bei Schlafmangel mit den Gerüchen von Lebensmitteln zusammenhängen und ob sich dies durch eine Veränderung der Endocannabinoid-Konzentration erklären lässt.

Hierzu konstruierte man ein zweiteiliges Experiment, an dem insgesamt 29 Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren teilnahmen. Nach einer 7-tägigen Periode der Schlafstabilisation (7-9 Stunden Schlaf pro Tag) wurden die Probanden in zwei Gruppen aufgeteilt:

  • Normale Schlafdauer (NDS): 8 Stunden Schlaf in der Nacht
  • Verkürzte Schlafdauer (DS): 4 Stunden Schlaf in der Nacht

Alle Probanden durchliefen beide Zustände (Cross-Over), wobei zwischen der NDS- und DS-Phase ein Zeitraum von 4 Wochen lag.

Experimentelles Design und Verhaltenseffekte von Schlafentzug: (A) Studienprotokoll für Sitzungen mit reduziertem Schlaf (DS) und nicht-reduziertem Schlaf (NDS) mit einer 19-tägigen Auslaufphase (Wash Out Periode). Das Abendessen wurde um 18 Uhr serviert, die fMRI-Sitzung begann um 19 Uhr, und dass ad libitum-Buffet begann nach 20 Uhr. (B) Die Actigraphiedaten zeigten keine Unterschiede in der Schlafdauer während der Schlafstabilisierungsphase, bestätigten aber einen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Schlafbedingungen in der Nacht der Schlafmanipulation (Tag 8). (C) Die Ratings des Hungers auf einer visuellen Analogskala zeigten signifikante Effekte der Zeit, aber keine schlafabhängigen Effekte. (D) Während der DS-Phase (im Vergleich zur NDS-Phase) berichteten die Teilnehmer über eine geringere Schlafqualität, eine geringere Aufmerksamkeit und eine geringere Ausgeruhtheit. (E) Die „Stanford Sleepiness Scale“-Werte lagen in der DS-Phase höher. (F) Energiedichte (kcal/g) der Lebensmittel, die nach dem Scannen am Ad-libitum-Buffet konsumiert wurden, ausgedrückt als prozentuale Veränderung gegenüber der NDS-Basislinie. *p<0.05. Die Daten werden als Mittelwert ± SEM dargestellt.

Experimentelles Design und Verhaltenseffekte von Schlafentzug: (A) Studienprotokoll für Sitzungen mit reduziertem Schlaf (DS) und nicht-reduziertem Schlaf (NDS) mit einer 19-tägigen Auslaufphase (Wash Out Periode). Das Abendessen wurde um 18 Uhr serviert, die fMRI-Sitzung begann um 19 Uhr, und dass ad libitum-Buffet begann nach 20 Uhr. (B) Die Actigraphiedaten zeigten keine Unterschiede in der Schlafdauer während der Schlafstabilisierungsphase, bestätigten aber einen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Schlafbedingungen in der Nacht der Schlafmanipulation (Tag 8). (C) Die Ratings des Hungers auf einer visuellen Analogskala zeigten signifikante Effekte der Zeit, aber keine schlafabhängigen Effekte. (D) Während der DS-Phase (im Vergleich zur NDS-Phase) berichteten die Teilnehmer über eine geringere Schlafqualität, eine geringere Aufmerksamkeit und eine geringere Ausgeruhtheit. (E) Die „Stanford Sleepiness Scale“-Werte lagen in der DS-Phase höher. (F) Energiedichte (kcal/g) der Lebensmittel, die nach dem Scannen am Ad-libitum-Buffet konsumiert wurden, ausgedrückt als prozentuale Veränderung gegenüber der NDS-Basislinie. *p<0.05. Die Daten werden als Mittelwert ± SEM dargestellt. (Bildquelle: Bhutani et al., 2019)

Die Studienteilnehmer erhielten in diesen Phasen von den Forschern ein kontrolliertes Menü zum Frühstück, Mittag- und Abendessen sowie ein Buffet mit Snacks, bei dem evaluiert wurde, was und wie viel die Teilnehmer aßen.

Hierbei stellte man fest, dass die verkürzte Schlafdauer zu einem veränderten Ernährungsverhalten der Probanden führte und dass diese auf wesentlich energiereichere Lebensmittel (Kalorien pro Gramm), wie etwa Doughnuts, Schokoladenkekse und Kartoffelchips, zurückgegriffen haben.

Mit Hilfe einer Blutanalyse untersuchten die Wissenschaftler die Konzentration von 2-AG (2-arachidonoylglycerol) und 2-OG (2-oleoylglycerol) – beides Bestandteile des körpereigenen Endocannabinoid-Systems – und stellten hierbei eine erhöhte Konzentration an 2-OG im Blut fest (nach nur einem Tag mit weniger Schlaf), die anscheinend mit der Veränderung der Wahl der Lebensmittel zusammenhing.

Schlafabhängige Veränderungen im Endocannabinoid-System korrelieren mit energieintensiven Nahrungsentscheidungen: (A) Relative Veränderungen der 2-AG- und 2-OG-Werte im DS-Zustand (%-ige Veränderung gegenüber NDS-Basiswert). Die Daten werden als Mittelwert ± SEM dargestellt. (B) Prozentuale Veränderungen in 2-OG in DS von der NDS-Basislinie korrelieren positiv mit %-igen Veränderungen der Energiedichte von Lebensmitteln, die am ad libitum Buffet im DS-Zustand konsumiert werden, im Vergleich zur NDS-Basislinie (robuste Regression, β = 0,47, p=0,027).

Schlafabhängige Veränderungen im Endocannabinoid-System korrelieren mit energieintensiven Nahrungsentscheidungen: (A) Relative Veränderungen der 2-AG- und 2-OG-Werte im DS-Zustand (%-ige Veränderung gegenüber NDS-Basiswert). Die Daten werden als Mittelwert ± SEM dargestellt. (B) Prozentuale Veränderungen in 2-OG in DS von der NDS-Basislinie korrelieren positiv mit %-igen Veränderungen der Energiedichte von Lebensmitteln, die am ad libitum Buffet im DS-Zustand konsumiert werden, im Vergleich zur NDS-Basislinie (robuste Regression, β = 0,47, p=0,027). (Bildquelle: Bhutani et al., 2019)

Mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI-Scanner) überprüften die Wissenschaftler vor dem Buffett, wie die Gehirne der Probanden auf diverse lebensmittelbezogene und nicht-lebensmittelbezogene Gerüche reagierten. Hierzu konzentrierte man sich insbesondere auf die Reaktion im Piriform-Kortex (ein Bereich, der für den Geruchssinn zuständig ist), der für die Signalübertragung an die Inselrinde zuständig ist, wo Geschmack und Geruch sowie der Magenfüllstand interpretiert werden. Hierbei zeigte sich eine signifikante Veränderung bei der Aktivität des Piriform-Kortex in jenen Probanden, die unter Schlafmangel litten.

Das Faszinierende hierbei war jedoch, dass die Kommunikation zwischen Piriform-Kortex und Inselrinde gestört zu sein schien. Diese „Störung“ schien mit der gestiegenen Konzentration von 2-OG und der Lebensmittelwahl der Probanden zusammenzuhängen.

„Wenn der Piriform-Kortex nicht ordnungsgemäß mit der Inselrinde kommunizieren kann, fangen die Leute an, kalorienreiche Lebensmittel zu essen,“ stellen die beteiligten Forscher fest.

Die Lösung für ein solches Dilemma ist so simpel, wie nachvollziehbar: Mehr Schlaf.

Weiterführende Beiträge

 

Quellen, Referenzen & Weiterführende Literatur

(1) Surabhim, B., et al. (2019): Olfactory connectivity mediates sleep-dependent food choices in humans. In: eLife, URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6783266/.

(2) Aizpurua-Olaizola, O., et al. (2017): Targeting the endocannabinoid system: future therapeutic strategies. In: Drug Discovery Today. URL: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1359644616302926?via%3Dihub.

(3) Bellocchio, L., et al. (2010): Bimodal control of stimulated food intake by the endocannabinoid system. In: Nat Neurosci. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20139974.

(4) Di Marzo, V., et al- (2001):  Leptin-regulated endocannabinoids are involved in maintaining food intake. In: Nature. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11298451.

(5) Hanlon, EC., et al. (2016): Sleep restriction enhances the daily rhythm of circulating levels of endocannabinoid 2-Arachidonoylglycerol. In: Sleep. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4763355/.


Bildquelle Titelbild: Depositphotos / stokkete


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