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Wenn die vorgefallene Bandscheibe auf die zum Rücken oder seitlich von ihr austretende Nervenwurzel drückt, kommt es zu Druckschädigungen der betroffenen Nervenabschnitte und damit zu starken Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und Lähmungserscheinungen. (Bildquelle: depositphotos / edesignua)

Der Bandscheibenvorfall: Ein praktischer Leitfaden (speziell für Kraftsportler)

Für alle Kraftsportler gibt es sicherlich ein Szenario, von dem man stets glaubt, es könne einen nicht selbst ereilen: Der Bandscheibenvorfall.

Im Gegensatz zu den pandemiebedingten Fitnessstudioschließungen im letzten Jahr, die man bis dato auch nie für möglich gehalten hatte, gibt es aber im Falle eines Bandscheibenvorfalles diverse Möglichkeiten im Bereich der Prävention und Behandlung.

In diesem Artikel möchte ich dazu etwas Aufklärungsarbeit betreiben und, das ist mir besonders wichtig, worauf beim Wiedereinstieg in das Trainingsgeschehen zu achten ist. Ein Bandscheibenvorfall bedeutet nicht das Ende für schweres Krafttraining – aber es bedarf an Wissen, um zielgerichtet weitermachen zu können.

Es ist mein Anspruch, ein Gefühl für die „Basics“ der Bandscheibenfunktion zu vermitteln, ohne höhere medizinische Vorkenntnisse vorauszusetzen, schließlich ist es am Ende doch stets das Problem, dass die fachliche Komplexität solch einer Thematik uns abschreckt, sich damit zu befassen und den Bandscheibenvorfall ins Reich der Schreckgespenster verbannt.

Als Disclaimer muss gesagt werden, dass ich kein Mediziner oder Physiotherapeut bin. Die Lektüre meines Artikels entbehrt nicht der Konsultation fachlicher Experten.

Einführung

Der aufrechte Gang des Menschen stellt eine extreme Herausforderung an die Statik der Wirbelsäule dar. Jedes Kilogramm, welches vom Boden hochgehoben wird, muss die Wirbelsäule mit ihren Bandscheiben abfangen. Da kann ein Kasten Bier, durch eine schlechte Hebetechnik, schon einen Druck von mehreren hundert Kilos auf die Bandscheiben ausüben.

Denkt man dieses Beispiel einen Schritt weiter, dann ist davon auszugehen, dass eine schlechte, biomechanisch inkorrekte Kniebeuge- sowie Kreuzhebetechnik die Bandscheiben gut und gerne im Tonnenbereich belastet. Hebt man bereits eine minimale Last von 25 kg mit stark nach vorne gekrümmter (kyphotischer) Wirbelsäule – dann steigt die Last, die auf die Lendenwirbelsäule wirkt, auf 250 - 438 kg (2.500 - 4.300 Newton) an (1).

Natürlich werden einige den Verweis auf die inoffiziellen Weltrekordleistungen des lettischen Powerlifters Konstantin Konstantinov aufführen (2), der im Verband der WPC 411 kg RAW bei 125 kg Körpergewicht im Kreuzheben gemeistert hat. Wer sich die Videos dazu anschaut, wird sofort stutzig werden, wie man mit solch einem Rundrücken diese Lasten ohne nachhaltige Schäden bewältigen kann. Konstantinov ist eine Ausnahme unter Tausenden von Athleten, der über Jahrzehnte diesen Hebestil adaptiert hat und über das genetische Potential verfügt, trotz dieses extremen Stils verletzungsfrei geblieben zu sein.

Doch nicht nur Kraftsportler sind von einer höheren Verletzungshäufigkeit und Abnutzungserscheinungen der Bandscheiben betroffen, auch jede andere Person hat gute Chancen einen Bandscheibenvorfall zu erleiden, bzw. mindestens einmal im Leben akute Rückenschmerzen, wie z.B. einen Hexenschuss, Blockaden an der Wirbelsäule, Entzündungen an den kleineren Wirbelgelenken, usw. zu erfahren.

Kraftsport stellt auf der einen Seite eine hervorragende Grundlage dar, um starke Muskeln aufzubauen, welche der Wirbelsäule als Schutzpanzer dienen. Auf der anderen Seite bringen falsche Technik, Überlastungen durch das Training im Maximalbereich und Defizite im Muskelaufbau die Bandscheiben sehr schnell an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.

In der Bundesrepublik wurden 2015 ca. 147.000 Bandscheibenschäden (M51) diagnostiziert (3) - ein Umstand, der neben sportlichen oftmals auch eine berufliche Umorientierung unausweichlich machen kann,

Der Bandscheibenvorfall: Ein praktischer Leitfaden (speziell für Kraftsportler)

Aufbau der Bandscheibe

Die Bandscheibe, auch Zwischenwirbelscheibe (Disci intervertebrales) genannt, sorgt gemeinsam mit den Bändern dafür, dass die Wirbelsäule stabil und beweglich bleibt.

Sie bestehen aus Bindegewebe und setzen sich aus zwei Teilen zusammen: Ein relativ harter, fester, aber dennoch elastischer Ring umschließt einen weicheren, inneren Kern (Nucleus pulposus), der zur Spannung des äußeren Knorpelrings beiträgt.

Durch die Fasern des festen Rings (Anulus fibrosus), welche schraubenförmig angeordnet sind, sind die Bandscheiben mit den Wirbelkörpern verbunden (4).

  Der Bandscheibenvorfall: Ein praktischer Leitfaden (speziell für Kraftsportler)

Aufbau einer Bandscheibe. (Bildquelle: Wikimedia.org / Jmarchn ; CC Lizenz 3.0)

Funktion der Bandscheibe

Die Bandscheiben fungieren im Prinzip als Stoßdämpfer. Denn ihre Funktion besteht im Abdämpfen von Stößen und Druck auf die Wirbelsäule. Insbesondere der weiche bzw. gelartige Gallertkern fängt den Druck und die Erschütterungen auf, dämpft diese und schützt die Wirbelsäule und ihre Elemente vor Verletzungen (4).

Durch das drückende Gewicht auf die Bandscheiben wird Wasser abgepresst. Aus diesem Grund werden sie im Laufe des Tages dünner, sodass der Mensch am Abend nach den Belastungen um die drei Zentimeter kleiner sein kann, als morgens nach dem Aufstehen.

Da die Bandscheiben keine Blutgefäße besitzen müssen sie auch regelmäßig wieder mit Flüssigkeit gefüllt werden, damit sie elastisch bleiben. Damit sich die Bandscheibe wieder mit Flüssigkeit füllt, muss sich der Mensch bewegen. Bei einem Mangel an Bewegung nehmen die Bandscheiben hingegen zu wenig Flüssigkeit auf und werden spröde und rissig. Wenn die Bandscheibe dauerhaft überlastet wird, d.h. dauerhaft zu großem Druck ausgesetzt, ist das Ergebnis ähnlich und die Bandscheibe wird sozusagen „unterernährt“.

Die Bandscheiben machen rund 25% der Gesamtlänge der Wirbelsäule aus (5). Ihre Dicke nimmt von der Hals- zur Lendenwirbelsäule hinzu.

Was ist ein Bandscheibenvorfall?

Unbegrenzte Fehlbelastungen hält die Bandscheibe nicht aus. Insbesondere schweres Heben in falscher Haltung oder einseitige (Fehl-)Belastungen können dazu führen, dass sich der innere Kern der Bandscheibe durch eine Schwachstelle in seinem Fasermantel nach außen vorwölbt und in den Rückenmarkskanal verschoben wird. Bei besonders schweren Fällen tritt der innere Kern sogar ganz aus.

Ein solcher „Bandscheibenvorfall“ (Discus prolaps) geschieht meist in Richtung Dornfortsatz, weil der Kern beim Heben in nach vorne gekrümmter Haltung immer nach hinten gedrückt wird. Die meisten Bandscheibenvorfälle treten zwischen den Lendenwirbeln L4 und L5 bzw. L5 und S1 (Kreuzbein) auf, da in diesem Bereich die Druckbelastung auf die Bandscheiben am größten ist (4). Wenn die vorgefallene Bandscheibe auf die zum Rücken oder seitlich von ihr austretende Nervenwurzel drückt, kommt es zu Druckschädigungen der betroffenen Nervenabschnitte und damit zu starken Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und Lähmungserscheinungen. (Bildquelle: depositphotos / edesignua)

Wenn die vorgefallene Bandscheibe auf die zum Rücken oder seitlich von ihr austretende Nervenwurzel drückt, kommt es zu Druckschädigungen der betroffenen Nervenabschnitte und damit zu starken Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und Lähmungserscheinungen. (Bildquelle: depositphotos / edesignua)

Die gefährdeten Bereiche der Wirbelsäule

Halswirbelsäule (HWS)

Abnutzungserscheinungen zwischen den Wirbeln 5, 6 und 7 sind eher häufig, da die Brustwirbelsäule (BWS) verhältnismäßig starr ist und somit Scherkräfte zwischen der sehr beweglichen HWS und der festen BWS auftreten.

Brustwirbelsäule (BWS)

Hier gibt es äußerst selten Bandscheibenvorfälle. Der Brustkorb wirkt wie ein Panzer und die Beweglichkeit in diesem Abschnitt der Wirbelsäule ist insgesamt am geringsten.

Lendenwirbelsäule (LWS)

Dieser Bereich ist, wie oben erwähnt, am stärksten gefährdet, da die Druckkräfte hier am höchsten sind. Die Wirbelkörper sind im LWS-Bereich im Vergleich zur HWS sehr groß. Dies ist durch die höhere Druckbelastung durch das Körpergewicht und das Tragen von Lasten bedingt.

Die HWS muss im Gegensatz zur LWS „nur“ den Kopf tragen, die LWS nahezu das gesamte Gewicht des Oberkörpers.

Faktoren für einen Bandscheibenvorfall

Einige Faktoren begünstigen die Entstehung eines Bandscheibenvorfalls (BSV). Es gibt z.B. angeborene oder erworbene Vorbeschädigungen wie die Verkrümmungen der Wirbelsäule in Form einer Skoliose, einer seitlichen Achsenabweichung, ein Rundrücken (thorakale Hyperkyphose), das bekannte Hohlkreuz (lumbale Hyperlordose) oder der Flachrücken, bei dem die natürliche S-Form der Wirbelsäule kaum ausgeprägt ist (4).

Auch entzündliche Prozesse, Übergewicht, fehlende körperliche Betätigung, schwaches Bindegewebe und diverse arbeitsbedingte Fehlbelastungen erhöhen das Risiko für einen Bandscheibenvorfall.

Für den Kraftsportler kommen noch (...)


Dieser Artikel erschien in der 06/2021 Ausgabe des Metal Health Rx Magazins.

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Bildquelle Titelbild: depositphotos / khosrork


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