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Kein Erfolg beim Abnehmen: Liegt es an der Genetik oder am Stoffwechsel?

Diät-Resistenz: Ist ein „langsamer Stoffwechsel“ daran Schuld, dass du nicht abnehmen kannst?

Jeder von uns kennt dieses Phänomen aus eigener Erfahrung oder aber er hat mindestens einen solchen Bekannten, der nahezu alles“ versucht hat, um abzunehmen, es aber entweder partout nicht schafft (es erfolgt keine Gewichtsabnahme) oder es geht nur sehr langsam voran. Natürlich ist die Erklärung hierfür schnell zu Hand: Es ist die Genetik (und damit der langsame Stoffwechsel) der Schuld hat.

Zugegeben: Ausnahmen bestätigen die Regel, aber in 99% aller Fälle ist nicht der „langsame Stoffwechsel“ Schuld an den ausbleibenden Fortschritten.

Hinweis: Dieser Artikel erschien als Editorial-Beitrag in der Juli 2019 Ausgabe des MHRx Magazins. Registriere dich kostenlos oder logge dich mit deinem bestehenden Account ein, um weitere Editorals zu lesen.

Diät-Resistenz: Ist ein „langsamer Stoffwechsel“ daran Schuld, dass du nicht abnehmen kannst?

Ein echter Klassiker innerhalb der wissenschaftlichen Literatur ist Studie von Lichtman et al. (1992), welche über einen Zeitraum von 14 Tagen diesen Sachverhalt des „Underreportings“ bzw. „Overreportings“ genauer untersucht hat (1). Es wurden also Personen berücksichtigt, die gemäß eigener Angabe „Diät-resistent“ waren und nicht abnehmen konnten (9 Frauen, 1 Mann; Gruppe 1).

Als Kontrollgruppe dienten 80 Personen (67 Frauen, 13 Männer) die sich selbst nicht als „Diät-resistent“ bezeichneten (keine Probleme mit der Gewichtsabnahme in der Vergangenheit; Gruppe 2).

Die Menge der zugeführten Kalorien (tatsächliche Kalorienzufuhr) liegt signifikant höher, als die angenommene Menge der zugeführten Kalorien (angegebene Kalorienzufuhr) der Probanden aus Gruppe 1

Die Menge der zugeführten Kalorien (tatsächliche Kalorienzufuhr) liegt signifikant höher, als die angenommene Menge der zugeführten Kalorien (angegebene Kalorienzufuhr) der Probanden aus Gruppe 1. (Bildquelle: Lichtman et al., 1992)

Die abgebildete Grafik zeigt den Gesamtenergieverbrauch nach Individuum in Gruppe 1, sowie die angegebene Kalorienzufuhr und die unterschlagene (nicht angegebene) Kalorienzufuhr. Darin ist zu sehen, dass es bei jedem Individuum ein substanzielles Underreporting (47 +/- 16 %) gab.

Noch einmal in klaren Worten: Die tatsächliche Kalorienzufuhr lag im Schnitt 47% höher, als die angegebene/angenommene Kalorienzufuhr! 3 von 10 Teilnehmern glichen ihre Kalorienbilanz beinahe aus. Ein weiterer Teilnehmer überschritt diese sogar und befand während seiner „Diät“ im Kalorienüberschuss. Bei allen anderen Individuen (bis auf Nr. 2) würde die zugeführte Menge an Extra-Kalorien ausreichen, um die Abnehmfortschritte signifikant auszubremsen. (Übrigens: Gruppe 2 unterschätzte ihre Kalorienzufuhr ebenso, nämlich um 19 +/- 38 %).

Das ist die eine Seite der Medaille, aber was ist mit den „Ausgaben“?

Die Wissenschaftler führten eine entsprechende Evaluation des Stoffwechsels bei den Probanden aus Gruppe 1 durch. Der tatsächliche Kalorienverbrauch lag bei dieser Analyse stets innerhalb der 5%-Grenze des geschätzten Kalorienverbrauchs, wie die nachfolgende Grafik zeigt:

Wie stark weicht der berechnete Kalorienverbrauch vom tatsächlichen Kalorienverbrauch ab? Die Nulllinie repräsentiert den berechneten Kalorienverbrauch und die Abweichung nach oben oder unten den Mehr- bzw. Wenigerverbrauch nach Individuen beim Gesamt-Energieverbrauch (Total Energy Expenditure) und Ruhe-Energieverbrauch (Resting Metabolic Rate) in Gruppe 1. (Bildquelle: Lichtman et al., 1992)

Nüchtern formuliert lag also kein „verlangsamter Stoffwechsel“ vor. Im Gegenteil: Einige der Teilnehmer verbrauchten sogar substanziell mehr Kalorien, als die theoretische Berechnung hergab. Die Forscher resümieren:

Although the subjects in group 1 had no distinct psychopathologic characteristics, they perceived a genetic cause for their obesity, used thyroid medication at a high frequency, and described their eating behavior as relatively normal.

Lichtman et al., 1992

Die „Diät-resistenten“ Individuen sahen sich also als Opfer der Umstände. Schuld and der ausbleibenden Gewichtsabnahme war gem. ihren Angaben die Genetik. Einige der Teilnehmer verwendeten zwar Schilddrüsenpräparate, jedoch nur dann, wenn diese vom Arzt verordnet wurden. Es wurden folglich nur Probanden für die Studie zugelassen, deren Schilddrüse richtig eingestellt gewesen ist (was zur Folge hat, dass die „Schilddrüse“ als Ausrede nicht mehr zählen dürfte).

In conclusion, all the obese subjects we studied who had a history of self-reported diet resistance had appropriate energy expenditure, but they misreported their actual food intake and physical activity.

Lichtman et al., 1992

Zusammenfassung

Falls du betroffen bist oder jemanden kennst, der sich als „Diät-resistent“ bezeichnet und trotz aller Bemühungen keinen Erfolg bei der Gewichtsreduktion verzeichnet, so sollte die erste Maßnahme darin bestehen eine Gewohnheit des korrekten Trackings der Kalorienzufuhr zu etablieren.

Jupp, Kalorienzählen ist lästig. Insbesondere dann, wenn man noch keine Routine darin hat und viel auswärts isst, aber es ist die einzig sinnvolle Maßnahme, die dir dabei helfen kann, der Ursache der fehlenden Gewichtsabnahme näher auf den Grund zu kommen. Fakt ist, dass die meisten Menschen nicht besonders gut darin sind ihre Kalorienzufuhr korrekt einzuschätzen, auch wenn sie von sich aus behaupten „schlechte Esser“ zu sein (3). Setzt man diese nämlich auf eine Diät, wo die tägliche Kalorienzufuhr korrekt definiert wurde, so nehmen diese auch zuverlässig ab:

2H,’80-assessed rates of energy expenditure for the ‘Iarge-eaters’ (approximately 8.5 MJ/d) and ‘small-eaters’ (approximately 11-3 MJ/d) were in close agreement with the results obtained using 5 d, self-reported activity diaries but the derived rates of energy intake for the ‘large-’ (approximately 8.5 MJ/d) and ‘small-eaters’ (approximately 10.8 MJ/d) were markedly different from those obtained using self-reported, weighed food diaries. When two ‘small-eaters’ were supplied with their self-reported energy intakes (approximately 5 MJ/d) for up to 28 d both subjects lost about 0.75 kg body-weight/week.

Clark et al., 1994

Tatsächlich ist es sogar so, dass selbst Ernährungsberater, also eine Zunft, die darin geschult sein sollte, solche Fehler zu vermeiden, nicht immer richtig liegen, wenn es um die Bestimmung der eigenen Kalorienzufuhr geht (4) – die Damen und Herren lagen im Schnitt um 223 +/- 116 kcal/Tag danebeben (die Kontrollgruppe verschätzte sich jedoch um 429 +/- 142 kcal/Tag, insofern sind Ernährungsberater wohl weniger anfällig für Underreporting, als Otto Normal).

The mean energy expenditure of the dietitians calculated from doubly labeled water was 223 +/- 116 kcal/day more than energy intake estimated from the weighted food record. For the nonprofessional control group, energy intake was underreported by 429 +/- 142 kcal/day, relative to energy intake determined from the weighted food record. (…)

The control group participants significantly underrestimated their energy intake relative to the dietitians whose energy intake was not significantly lower than the  energy expenditure estimated from doubly labeled water.

Champagne et al., 2002

Wenn es darum geht die Energiezufuhr korrekt zu dokumentieren sind Ernährungsberater (A.) besser, als normaler Person (B.), allerdings sollte man auch hier nicht verallgemeinern. Einige Experten verschätzten sich zwischen 400-800 kcal, wogegen Laien z.T. um 1.200 kcal/Tag daneben lagen. Die "0"-Linie entspricht der wahren Kalorienzufuhr.

Wenn es darum geht die Energiezufuhr korrekt zu dokumentieren sind Ernährungsberater (A.) besser, als normaler Person (B.), allerdings sollte man auch hier nicht verallgemeinern. Einige Experten verschätzten sich zwischen 400-800 kcal, wogegen Laien z.T. um 1.200 kcal/Tag daneben lagen. Die “0”-Linie entspricht der wahren Kalorienzufuhr. (Bildquelle: Champagne et al., 2002)

Falls „die Genetik“ ein Faktor ist, den du als Erklärung für ausbleibende Fortschritte heranziehst, gibt es nur eine korrekte Lösung für das Dilemma: Gehe zum Arzt und lass deine Schilddrüsenwerte messen. Sollte sich tatsächlich eine Unterfunktion zeigen, so ist eine korrekte Einstellung der Schilddrüse (mittels Schilddrüsenhormonen) der einzig richtige Weg – und dann zählen auch keine bequemen Ausreden mehr, wieso es mit dem Abnehmen nicht klappt.

Wie auch bei der Kalorienzufuhr, so neigen viele Menschen dazu ihren Verbrauch bzw. den Kalorienverbrauch von Aktivität Y für X Minuten zu überschätzen. Dies gilt insbesondere dann, wenn du dich auf die Verbrauchsangaben auf Cardiogeräten verlässt, die nicht individuell eingestellt sind. Eine Person, die 60 kg wiegt, verbrennt nun einmal nach einer Stunde Radfahren oder Joggen nicht die gleiche Menge, wie jemand, der 90 kg wiegt.

Quellen, Referenzen & Weiterführende Literatur

(1) Lichtman, SW., et al. (1992): Discrepancy between self-reported and actual caloric intake and exercise in obese subjects. In: N Engl J Med. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/1454084.

(2) Krieger, J. (2017): Sind Ernährungsberater dazu in der Lage ihre eigene Kalorienzufuhr korrekt zu ermitteln? In: AesirSports.de. URL: https://aesirsports.de/underreporting-ernaehrungsberater-kalorienzufuhr/.

(3) Clark, D., et al. (1994): Energy metabolism in free-living, ‘large-eating’ and ‘small-eating’ women: studies using 2H2(18)O. In: Br J Nutr. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/7918325.

(4) Champagne, CM., et al. (2002): Energy intake and energy expenditure: a controlled study comparing dietitians and non-dietitians. In: J Am Diet Assoc. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12396160.

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Bildquelle Titelbild: Fotolia / Africa Studio


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