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Verbrennen Sportler mehr Protein, wenn sie sich kohlenhydratarm ernähren?

Verbrennen Sportler mehr Protein, wenn sie sich kohlenhydratarm ernähren?

Jeder, der die letzten Jahre (und Jahrzehnte) nicht hinter dem Mond gelebt und sich ein klein wenig über Sporternährung informiert hat, der weiß, dass die offiziellen Empfehlungen zur Deckung des Proteinbedarfs (nämlich 0,8g pro Kilogramm Körpergewicht (4)) für körperlich aktive Menschen unzureichend sind.

Zwar gibt es innerhalb der Kraftsport-Community durchaus hitzige Debatten darüber, wie viel Protein man denn nun auf täglicher Basis zuführen sollte, um optimale Ergebnisse zu erzielen (3), doch es besteht ein allgemeingültiger Konsens darüber, dass dieser Wert – auch für Ausdauersportler – in jedem Fall jenseits der 1 Gramm (pro Kilogramm Körpergewicht) Marke liegt (2).

Wie viel Protein du letztendlich auf täglicher Basis benötigst, hängt von zahlreichen Faktoren ab, wie z.B. Größe/Gewicht, Trainingsstand (Muskelmasse- und Fettanteil), Trainingsart (Widerstandstraining Vs. Ausdauersport), Trainingspensum (Dauer & Frequenz) und natürlich auch von der restlichen Ernährung, wobei es hier vor allem auf die Energiezufuhr (Kilokalorien) und das Verhältnis der Makronährstoffe zueinander ankommt.

Proteineinsparende Effekte durch Kalorien, Kohlenhydrate und Fette

Viele Sportler und Athleten verlassen sich auf eine hohe Proteinzufuhr, um die Regeneration und Adaption zu unterstützen (und damit Muskelaufbau zu fördern und Muskelabbau zu minimieren). Bei einer hypokalorischen Ernährung – also einem Kaloriendefizit – steigt der Bedarf an Eiweiß natürlich an. Eine mindestens ausgeglichene Energiebilanz bietet einen proteineinsparenden Effekt (6).

Kohlenhydrate und Fette stellen für den Körper wertvolle Energiesubstrate dar, die ebenfalls in der Lage sind den Proteinbedarf zu modulieren, wobei Kohlenhydrate einen stärkeren proteineinsparenden Effekt auszuüben scheinen, als Nahrungsfett (7)(8) – zumindest in der kurzen Frist und ohne eine entsprechende ketogene Adaption (das ist ein komplexes Themenfass, welches wir lieber ein andermal aufmachen werden). Der proteineinsparende Effekt von Kohlenhydraten könnte vor allem mit der Sekretion des stark anti-katabol wirkenden Hormons Insulin zusammenhängen (9), dessen Ausschüttung durch Verzehr von Kohlenhydraten herbeigeführt wird.

Worauf ich hinaus möchte, ist Folgendes: Es ist durchaus wichtig, genügend Proteine aufzunehmen, doch es ist mindestens genauso wichtig, genügend Energie in Form von Kalorien zuzuführen und die anderen beiden Makronährstoffe nicht zu vernachlässigen. Sportler, die dies tun, müssen damit rechnen, dass ihr täglicher Proteinbedarf höher ausfällt, als es ohnehin der Fall ist.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn man eine Low Carb Strategie verfolgt, wie eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung zeigt, die im Medicine & Science in Sports & Exercise erschienen ist (1).

Hinweis: Dieser Artikel erschien als Editorial-Beitrag in der Oktober 2019 Ausgabe des MHRx Magazins. Registriere dich kostenlos oder logge dich mit deinem bestehenden Account ein, um weitere Editorals zu lesen.

Verbrennen Sportler mehr Protein, wenn sie sich kohlenhydratarm ernähren?

Train Low, Compete High?

Schon mal was vom „Train Low“-Prinzip gehört? Diese Ernährungsstrategie erfreut sich vor allem bei Ausdauersportlern großer Beliebtheit, die sich in ausgedehnten Trainingsphasen kohlenhydratarm ernähren, um den Fettstoffwechsel für anstehende Wettkämpfe zu trainieren.

Die Kohlenhydratzufuhr wird üblicherweise vor dem Wettkampf wieder hochgeschraubt, so dass der Körper seine Glykogenreserven regenerieren kann („Compete High“). Der Athlet startet dann mit prallen Speichern und verfügt über einen trainierten Fettstoffwechsel, so dass die Energieversorgung während der mehrstündigen Belastung optimal gewährleistet wird.

Dieser „Train Low, Compete High“-Ansatz liefert nur ein Problem: Im Zuge der geringeren Kohlenhydratverfügbarkeit (leere Glykogenspeicher) geht der Körper verstärkt dazu über, Aminosäuren zur Deckung des Energiebedarfs zu verstoffwechseln, ein Prozess, der in der Leber abläuft und den man Gluconeogenese nennt (schonmal ekligen Ammoniak-Geruch nach einer ordentlichen Strecke in der Nase gehabt? Jepp, dies könnte ein Anzeichen dafür sein, dass dein Körper verstärkt Aminosäuren oxidiert) dies geht wortwörtlich an die Substanz des Athleten, weshalb eine optimierte Proteinzufuhr ein entscheidender Schlüsselfaktor für die Regeneration sein kann.

Die Studie

Für ihre Untersuchung rekrutierten Gillen et al. (2019) 8 ausdauertrainierte Sportler (Alter: 27 ± 4 Jahre; Gewicht: 75 ± 10 kg), deren Trainingspensum regulär bei 56 ± 16 km pro Woche lag (1). Das Ziel der Arbeit bestand darin zu ergründen, wie sich eine niedrige Kohlenhydratverfügbarkeit auf den Proteinbedarf von Läufern auswirkt.

Hierzu absolvierten die Athleten zwei Experimente in einem randomisierten Crossover-Design*, wobei die Trials mindestens 5 Tage auseinanderlagen, um eine ausreichende Regeneration zu gewährleisten.

*Crossover heißt, dass jeder der Teilnehmer das Low Carb Experiment und das High Carb Experiment absolviert hat.

Das sah dann so aus:

Verbrennen Sportler mehr Protein, wenn sie sich kohlenhydratarm ernähren?

Visuelle Darstellung des Studiendesigns. (Bildquelle: Gillen et al., 2019)

Die Probanden absolvierten in beiden Experimenten am ersten Tag eine HIIT-Einheit (10 x 5 Minuten & 1-minütigen Pausen) am Abend. Danach verließen sie das Labor und kehrten am zweiten Tag zurück, um einen 10 km Lauf bei moderater Intensität (80% HRmax) zu absolvieren.

Die Ernährung der Teilnehmer wurde 24 Stunden vor dem 10 km Lauf standardisiert, wobei die Jungs im Schnitt 3.574 ± 453 kcal aßen. Die Kohlenhydratzufuhr lag bei 8g/kg, während die Proteinaufnahme bei 1,4g/kg lag. Der Rest wurde mit Fett aufgefüllt.

Die Menge und Komposition der Ernährung unterschied sich während der beiden Experimente nicht – lediglich das Kohlenhydrat-Timing war ein anderes!

  • Im Low Carb Experiment (LOW) verzehrten die Läufer vor der HIIT-Einheit 7,8g Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht. Nach der HIIT-Einheit führten sie weitere 0,2g Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht zu. Der 10 km Lauf am nächsten Morgen wurde im gefasteten Zustand durchgeführt.
  • Im High Carb Experiment (HIGH) verzehrten die Läufer vor der HIIT-Einheit 3g Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht. Nach der HIIT-Einheit führten sie weitere 5g Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht zu, um die Glykogenresynthese nach der HIIT-Einheit zu fördern. Der 10 km Lauf am nächsten Morgen wurde durchgeführt, nachdem man eine Stunde zuvor 1,2g Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht zugeführt hatte.

Unmittelbar nach dem 10 km Lauf (Tag 2) erhielten die Probanden eine Post-Workout Mahlzeit, wobei die LOW-Gruppe 1,8g Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht bekam und die HIGH-Gruppe 0,6g Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht erhielt. Dies wurde gemacht, um sicherzustellen, dass beide Gruppen eine identische Kalorien- und Nährstoffzufuhr hatten.

In den nachfolgenden 8 Stunden nach dem 10 km Lauf führte man ein Assessment des Proteinbedarfs mittels IAAO-Methodik durch (Messung des Phenylalanin-Stoffwechsels in der Post-Workout-Phase).

Das Studienergebnis

Die beteiligten Wissenschaftler konnten zwischen den beiden Experimenten zwar keinen Unterschied beim Phenylalanin-Fluss feststellen, allerdings zeigte sich, dass die Fett-Oxidation in der LOW-Gruppe höher ausfiel, als in der HIGH-Gruppe (0,99 ± 0,35 g/min [LOW] Vs. 0,60 ± 0,26 g/min [HIGH]; P < 0.05). Leider war dies nicht der einzige Unterschied, denn die Aminosäure-Oxidation war im LOW-Trial (verglichen zum HIGH-Trial) ebenfalls erhöht (8,8 ± 2,7 μmol/kg/h [LOW] Vs. 7,9 ± 2,4 μmol/kg/h [HIGH]; P < 0.05), was als Indikator dafür gewertet werden kann, dass sich der Proteinbedarf bei geringer Kohlenhydratverfügbarkeit erhöht hat.

Die Netto-Proteinbilanz reduzierte sich um insgesamt -12% im LOW-Trial:

Netto-Stickstoffbilanz (NBIL) nach einem 10 km Lauf mit niedriger (LOW) und hoher (HIGH) Kohlenhydratverfügbarkeit in 8 ausdauertrainierten Läufern. * = Sternchen repräsentieren ein signifikant unterschiedliches Ergebnis im Vergleich zum HIGH-Trial (P < 0.05).

Netto-Stickstoffbilanz (NBIL) nach einem 10 km Lauf mit niedriger (LOW) und hoher (HIGH) Kohlenhydratverfügbarkeit in 8 ausdauertrainierten Läufern. * = Sternchen repräsentieren ein signifikant unterschiedliches Ergebnis im Vergleich zum HIGH-Trial (P < 0.05). (Bildquelle: Gillen et al., 2019)

Gemäß einer Kalkulation der Forscher erhöhte sich der Proteinbedarf der Läufer bei niedriger Kohlenhydratverfügbarkeit um +0,12 g/kg. Bei einem durchschnittlichen Körpergewicht von 75 kg würde sich ein Mehrbedarf von 9 Gramm an qualitativ hochwertigem Protein ergeben.

Zusammenfassung & Abschließende Worte

Kraftsportler haben normalerweise keine Probleme, wenn es darum geht, massig Protein am Tag zuzuführen. Bei Ausdauersportlern sieht es häufig anders aus, auch wenn immer mehr Läufern, Radrennfahrern und Schwimmern klar wird, dass auch sie von einer ausreichend gedeckten Proteinzufuhr profitieren können.

Die Arbeit von Gillen et al. (2019) zeigt uns im Grunde genommen auf, dass nicht nur die Menge, sondern auch das Timing der Kohlenhydratzufuhr den Proteinstoffwechsel beeinflussen kann.

Zugegeben, die Studie gibt leider nicht her, welche Bedeutung das Ergebnis praktischerweise in der langen Frist für Ausdauersportler hat. Und sie gibt erst recht nicht her, inwiefern sich diese Ergebnisse auf Kraftsportler übertragen lassen, die einen Low Carb Ansatz verfolgen.

Eine Differenz von 9 Gramm mag für die meisten als nicht der Rede wert erscheinen, aber du weißt ja sicher, wie sich kleine Summen mit der Zeit aufaddieren. Was kurzfristig marginal erscheint, kann langfristig den Unterschied machen.

Wie gesagt, neigen Kraftsportler ohnehin tendenziell dazu, eher zu viel als zu wenig Protein zuzuführen. Ausdauersportler unterschätzen jedoch häufig ihren Proteinbedarf. Und es sieht zumindest aktuell so aus, als würde dieser einen Zacken höher ausfallen, wenn die Kohlenhydratverfügbarkeit (niedrige Glykogenreserven) gering ist.

Wenn du also einen „Train Low“-Ansatz verfolgst, Ausdauersport betreibst und auch den einen oder anderen Kilometer pro Woche abreißt, könnte es sinnvoll sein, wenn du deine aktuelle Proteinzufuhr noch einmal überprüfst und unter Umständen nachjustierst.

Quellen, Referenzen & Weiterführende Literatur

(1) Gillen, JB., et al. (2019): Low-Carbohydrate Training Increases Protein Requirements of Endurance Athletes. In: Med Sci Sports Exerc. URL: https://journals.lww.com/acsm-msse/Abstract/2019/11000/Low_Carbohydrate_Training_Increases_Protein.14.aspx.

(2) Minichowski, DN. (2015): Wie viel Protein sollte ich am Tag zu mir nehmen? In: AesirSports.de. URL: https://aesirsports.de/wie-viel-protein-am-tag/.

(3) Henselmans, M. (2015): Der 2,2g pro kg Mythos: Die optimale Proteinzufuhr bei Bodybuildern. In: AesirSports.de. URL: https://aesirsports.de/2-gramm-pro-kg-mythos-optimale-protein-zufuhr.

(4) Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.: Wie viel Protein brauchen wir? URL: https://www.dge.de/presse/pm/wie-viel-protein-brauchen-wir/.

(5) Minichowski, DN. (2018): Guide: 8 simple Richtlinien zur Optimierung der Proteinaufnahme. In: AesirSports.de. URL: https://aesirsports.de/protein-optimierung/.

(6) Inoue, G. / Fujita, Y. / Niiyama, Y. (1973): Studies on protein requirements of young men fed egg protein and rice protein with excess and maintenance energy intakes. In: J Nutr. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/4752970.

(7) Richardson, DP., et al. (1979): Quantitative effect of an isoenergetic exchange of fat for carbohydrate on dietary protein utilization in healthy young men. In: Am J Clin Nutr. URL: hattps://academic.oup.com/ajcn/article-abstract/32/11/2217/4692076?redirectedFrom=fulltext.

(8) Vazquez, JA. / Morse, EL. / Adibi, SA. (1985): Effect of dietary fat, carbohydrate, and protein on branched-chain amino acid catabolism during caloric restriction. In: J Clin Invest. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/3897289.

(9) Jefferson, LS. / Li, JB. / Rannels, SR. (1977): Regulation by insulin of amino acid release and protein turnover in the perfused rat hemicorpus. In: J Biol Chem. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/838725.

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Bildquelle Titelbild: depositphotos / ibrak


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