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Stay Hungry: Hungerhormon Ghrelin steuert Motivation für Sport & Bewegung

Es ist ein Gefühl, welches jeder von uns kennt: Hunger! Wenn die letzte Mahlzeit schon etwas länger zurückliegt oder es vorher nur einen kleinen Snack gab, dann wächst in uns – langsam aber stetig – ein Verlangen, welches uns zum Essen bringt.

Aber wann hast du das Hungergefühl das letzte Mal bewusst wahrgenommen und es als ein positives Signal gesehen? Vermutlich nicht sehr oft, oder?

Die meisten Menschen haben so etwas wie eine innere Abneigung gegen das Hungrigsein – und zwar insofern, als dass sie das Gefühl umgehend im Keim ersticken wollen/müssen, anstatt es lediglich zu registrieren und zu akzeptieren. Sie denken dann so etwas, wie „Okay, ich hab‘ Hunger. Das ist ein ekliges Gefühl. Ich muss jetzt sofort etwas essen.“

Und das ist auch gar kein Problem, denn wir leben inzwischen bekanntlich in einer Welt, in der das Essen an jeder Ecke verfügbar ist. Häufig muss man nur in die Küche schlendern, um einen vollen Kühlschrank plündern zu können. Und wer unterwegs ist, der packt sich entweder etwas ein oder greift auf eine der vielen „On-The-Go“ Optionen (z.B. Bäcker, Imbissbude, Fast Food Restaurant) zurück. Hier im Westen muss niemand mehr Zeit im Hunger- oder Fastenmodus verbringen, als unbedingt nötig. Und die meisten Menschen tun dies auch nicht.

Daran ist im Grunde genommen auch nichts Verwerfliches, sofern du kerngesund bist, ein wenig auf deine Ernährung achtest (und nicht jeden Müll in dich hineinschaufelst) und aktiv bleibst. Falls du jedoch zu jenen Personen gehörst, die sich vorgenommen haben, aktiver zu werden – also mehr Sport zu treiben und regelmäßig zu trainieren – und das partout nicht auf die Reihe bekommen, weil „die Trägheit des Körpers“ sie schier übermannt (Merke: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach), dann könnte der (bewusste) Hunger ein wertvoller Verbündeter für deine Sache sein.

Was anfangs vielleicht ein wenig merkwürdig klingt, hat einen belegbaren Hintergrund, den ich dir – anhand einer aktuellen Untersuchung – nahebringen möchte. Und wer weiß… vielleicht verändert dies ja deine Perspektive bezüglich des Hungrigseins, so dass du diesen Zustand nicht gleich als etwas Schlechtes wahrnimmst…

Stay Hungry: Hungerhormon Ghrelin steuert Motivation für Bewegung & Sport

In ihrer Arbeit, die jüngst im Journal of Endocrinology veröffentlicht wurde, untersuchten Dr. Yuji Tajiri et al. (2019), von der Kurume University School of Medicine in Japan, den Zusammenhang zwischen Bewegung und Ghrelinspiegel bei Mäusen (1).

Was ist Ghrelin?

Bei Ghrelin (der Name leitet sich im Übrigen aus „Growth Hormone Release Inducing“ ab, weil der Faktor unter anderem zu einer Freisetzung von Wachstumshormon führt (3)) handelt es sich um ein Hungerhormon, welches orexigen – also Appetit steigernd – wirkt (2).

Das Hormon, welches im Magen ausgeschüttet wird, besitzt jedoch viele weitere Aufgaben und Funktionen. Es moduliert den Energiestoffwechsel (4), das autonome Nervensystem (5)(6) und das Herz-Kreislauf-System (7).

Die wichtigsten physiologischen Funktionen von Ghrelin in verschiedenen Organen. Ghrelin wirkt sich auf mehrere periphere Gewebe aus - darunter die Bauchspeicheldrüse, das Gehirn, das Herz, den Skelettmuskel, den Magen-Darm-Trakt und die Leber. Ghrelin verhindert zudem die Apoptose (Zelltod), Entzündungen und bewirkt die Zellproliferation oder -differenzierung verschiedener Zelltypen.

Die wichtigsten physiologischen Funktionen von Ghrelin in verschiedenen Organen. Ghrelin wirkt sich auf mehrere periphere Gewebe aus – darunter die Bauchspeicheldrüse, das Gehirn, das Herz, den Skelettmuskel, den Magen-Darm-Trakt und die Leber. Ghrelin verhindert zudem die Apoptose (Zelltod), Entzündungen und bewirkt die Zellproliferation oder -differenzierung verschiedener Zelltypen. (Bildquelle: Ruozi et al., 2017)

Die Wissenschaftler teilten gesunde und genveränderte Tiere in mehrere Gruppen ein, wobei die einen einen freien Zugang zu Nahrung erhielten (Ad libitum), während die anderen lediglich 2 Mal am Tag fressen durften (Time-restricted feeding).

Die Nahrungsaufnahme der Nager und ihre Aktivität (regulär und im Laufrad) wurden entsprechend überwacht und miteinander verglichen. Hierbei stellte man fest, dass die Tiere beider Gruppen (Ad libitum Vs. Time-restricted-feeding) zwar identische Mengen an Nahrung konsumierten, allerdings bewegten sich die Mäuse, die lediglich 2 Mal am Tag fressen durften, signifikant mehr, als ihre Artgenossen, die rund um die Uhr fressen konnten.

Nahrungsaufnahme, körperliche Aktivität und Aktivität im Laufrad mit ad libitum Nahrungszufuhr. Die kumulative Nahrungszufuhr (A) und körperliche Aktivität (B) wurden nach Hell- (L) und Dunkelperiode gruppiert. WT-Ex = Normale, gesunde Mäuse; GKO-Ex = Mäuse, in denen Ghrelin deaktiviert wurde. WT (n = 8); GKO (n = 8); L = Helle Periode; D = Dunkle Periode. **P < 0,01 versus Lichtperiode in jedem Genotyp von Mäusen

Nahrungsaufnahme, körperliche Aktivität und Aktivität im Laufrad mit ad libitum Nahrungszufuhr. Die kumulative Nahrungszufuhr (A) und körperliche Aktivität (B) wurden nach Hell- (L) und Dunkelperiode (D) gruppiert. WT-Ex = Normale, gesunde Mäuse; GKO-Ex = Mäuse, in denen Ghrelin deaktiviert wurde. WT (n = 8); GKO (n = 8); L = Helle Periode; D = Dunkle Periode. **P < 0,01 versus Lichtperiode in jedem Genotyp von Mäusen. (Bildquelle: Mifune et al., 2019)

In genetisch veränderten Nagern (GKO), bei denen die Expression von Ghrelin deaktiviert wurde (in diesen Tieren zirkulierte also kein Ghrelin!), zeigte sich, dass diese – bei zeitlich eingeschränkter Nahrungszufuhr – weniger körperlich aktiv waren, als ihre gesunden Pendants (die ebenfalls das Time-restricted-feeding Protokoll einhielten).

Nahrungsaufnahme, körperliche Aktivität und Aktivität im Laufrad mit zeitlich eingeschränkter Nahrungszufuhr (2 Mal/Tag). Die kumulative Nahrungszufuhr (A) und körperliche Aktivität (B) wurden nach Hell- (L) und Dunkelperiode gruppiert. Vergleich der kumulativen Aktivität auf dem Laufrad während der Dunkelperiode (C) zwischen Ad libitum (Ad lib) Mäusen und jenen, die eine zeitlich eingeschränkten Nahrungsaufnahme befolgten (RF). WT-Ex = Normale, gesunde Mäuse; GKO-Ex = Mäuse, in denen Ghrelin deaktiviert wurde. WT (n = 8); GKO (n = 8); L = Helle Periode; D = Dunkle Periode; Ad-lib = Ad libitum Ernährung; RF = zeitlich eingeschränkte Ernärhung. **P < 0,01 versus Lichtperiode in jedem Genotyp von Mäusen.

Nahrungsaufnahme, körperliche Aktivität und Aktivität im Laufrad mit zeitlich eingeschränkter Nahrungszufuhr (2 Mal/Tag). Die kumulative Nahrungszufuhr (A) und körperliche Aktivität (B) wurden nach Hell- (L) und Dunkelperiode (D) gruppiert. Vergleich der kumulativen Aktivität auf dem Laufrad während der Dunkelperiode (C) zwischen Ad libitum (Ad lib) Mäusen und jenen, die eine zeitlich eingeschränkte Nahrungsaufnahme befolgten (RF). WT-Ex = Normale, gesunde Mäuse; GKO-Ex = Mäuse, in denen Ghrelin deaktiviert wurde. WT (n = 8); GKO (n = 8); L = Helle Periode; D = Dunkle Periode; Ad-lib = Ad libitum Ernährung; RF = zeitlich eingeschränkte Ernärhung. **P < 0,01 versus Lichtperiode in jedem Genotyp von Mäusen. (Bildquelle: Mifune et al., 2019)

Ein wichtiger Aspekt hierbei: Genveränderte Mäuse, die kein Ghrelin produzierten, steigerten ihre körperliche Aktivität, sobald das Hungerhormon exogen injiziert wurde (sowohl bei freier Nahrungsverfügung, als auch bei zeitlich eingeschränkter Nahrungsaufnahme).

Dieses Detail impliziert, dass das Hungerhormon Ghrelin nicht nur einen bedeutsamen Motivationsfaktor für die Nahrungsaufnahme darstellt, sondern auch für Bewegung und körperliche Aktivität.

Abschließende Worte

Selbstverständlich ist bei der Extrapolation (Übertragung) dieser Ergebnisse auf andere Spezies eine gewisse Vorsicht geboten. Es ist nun einmal eine Tierstudie und kein Human-Versuch.

Es ist jedoch bei weitem kein Geheimnis, dass der erlebte Hunger eine klare Aufgabe innerhalb der Evolution besitzt: Es ist das Signal unseres Körpers, dass wir frische Energie zuführen sollen – was jedoch nicht mit einem chronischen Energiemangel verwechselt werden sollte; wir können z.B. hungrig werden, obwohl unser Körper über zehntausende Kilokalorien an Energiereserven, nämlich in Form von Körperfett, verfügt; dies könnte z.B. mit dem Set bzw. Settling Point und der Homöostase zusammenhängen (8).

Essen kann man jedoch nur dann, wenn auch etwas zum Essen verfügbar ist. In grauer Vorzeit, also als man noch nicht so einfach in den Supermarkt oder zur Dönerbude nebenan gehen konnte, war dies alles andere als selbstverständlich. Wer essen wollte, musste sich bewegen und dieses entweder sammeln oder erjagen. War die Jagd erfolglos, ging man mit knurrendem Magen zu Bett, aber man ist auch früher wieder aufgewacht, weil der Hunger immer deutlicher wurde und uns dazu animierte, weiter nach Nahrung zu suchen (Stichwort: Food-Seeking Behavior).

Demgegenüber kennt jeder von uns die Situation, wenn wir am Esstisch reichlich zulangen, nur um wenig später – wie ein gestrandeter Wal – auf der Couch zu liegen. Unfähig (und vor allem auch unwillig) uns vom Fleck zu bewegen, wie ein vollgestopfter Löwe, der sich vollgefressen hat und nun gemütlich in der Savanne liegt und sich die Sonne auf den Pelz scheinen lässt.

Apropos … wie wäre es mit einem Verdauungsschläfchen? Dann wird eben Morgen trainiert … Parasympathikus siegt über Sympathikus.

Das Motto "Ein voller Bauch studiert nicht gern" lässt sich 1:1 auf Bewegungs- und Trainingslust übertragen. Wenn du jemand bist, der bereits Motivationsprobleme hat, solltest du nicht nur die Qualität deiner Mahlzeiten im Augeb behalten, sondern auch die Menge und das Timing. Ein wenig Hunger kann sich hierbei förderlich auf die Motivation auswirken.

Das Motto “Ein voller Bauch studiert nicht gern” lässt sich auch auf das Bewegungs- und Trainingslust übertragen. Wenn du jemand bist, der bereits Motivationsprobleme hat, solltest du nicht nur die Qualität deiner Mahlzeiten im Auge behalten, sondern auch die Menge und das Timing. Ein wenig Hunger kann sich hierbei förderlich auf die Motivation auswirken. (Bildquelle: depositphotos / photographee.eu)

Dr. Tajiri, der an dieser Untersuchung mitgewirkt hat, äußert sich zu den Ergebnissen wie folgt: Hunger fördert die Ghrelin-Produktion und spielt sehr wahrscheinlich eine Rolle bei der Steigerung der Motivation sich freiwillig zu bewegen. Er betont, dass die Aufrechterhaltung einer gesunden Ernährungsroutine, mit regelmäßigen Esszeiten oder Fastenperioden (z.B. Kurzzeitfasten) übergewichtigen Menschen dabei helfen könnte, die Motivation für Sport und Training zu steigern.

Persönlich würde ich das “übergewichtigen” in Klammern setzen, da schlanke Individuen von einem Motivationsschub ebenfalls profitieren könnten. Als jemand, der dieses Phänomen aus erster Hand kennt, sieht mein persönlicher Tipp wie folgt aus:

  • Wenn du gerne deine körperliche Aktivität bzw. Motivation zur Bewegung erhöhen möchtest bzw. dich öfter dabei ertappst, wie du Sport- und Trainingseinheiten ausfallen lässt, weil du dich träge und müde fühlst, solltest du den Versuch unternehmen und dich mal bewusst dem Hunger hingegeben.
  • Wenn du vorhast, zu trainieren, dann plane deine Mahlzeiten entsprechend so, dass sie nicht wie ein Stein im Bauch liegen (Portionsgröße & -qualität. Begrenze die zugeführten Kalorien und optiere lieber für einen leichten Snack, als schwere Hausmannskost.
  • Oder probiere es gleich mit einem der vielen Intermittent Fasting Protokolle und schaue, wie du (und deine Bewegungsmotivation) darauf reagieren.

Hunger per se ist nichts Schlechtes, was sofort im Keim erstickt werden muss. Es ist nur so, dass viele von uns vergessen haben, was Hungrigsein eigentlich bedeutet und welche (positiven) Auswirkungen es auf Körper und Geist hat – dabei kann er ein überaus starker Verbündeter sein, der dir beim Erreichen deiner Ziele behilflich sein kann, wenn du verstehst, wie du ihn für dich nutzen kannst.

In diesem Sinne: Stay hungry (nicht nur, wenn es ums Essen geht).

Weiterführende Beiträge

Quellen, Referenzen & Weiterführende Literatur

(1) Mifune, H., et al. (2019): Voluntary exercise is motivated by ghrelin, possibly related to the central reward circuit. In: J Endocrinol. URL: http://dx.doi.org/10.1530/JOE-19-0213.

(2) Nakazato, M., et al. (2001): A role for ghrelin in the central regulation of feeding. In: Nat. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11196643.

(3) Kojima, M., et al. (1999): Ghrelin is a growth-hormone-releasing acylated peptide from stomach. In: Nat. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10604470.

(4) De Vriese, C. / Perret, J. / Delporte, C. (2010): Focus on the short- and long-term effects of ghrelin on energy homeostasis. In: Nutr. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20080032.

(5) Matsumura, K., et al. (2002): Central ghrelin modulates sympathetic activity in conscious rabbits. In:  Hypertens. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12411464.

(6) Date, Y., et al. (2006): Peripheral ghrelin transmits orexigenic signals through the noradrenergic pathway from the hindbrain to the hypothalamus. In: Cell Metab. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17011505.

(7) Tesauro, M., et al. (2010): Cardiovascular and metabolic effects of ghrelin. In: Curr Diab. URL: https://doi.org/10.2174/157339910791658871.

(8) Kirchhoff, C. (2015): Set Point Vs. Settling Point: Körpergewicht & Stoffwechseladaptionen bei Zu- & Abnahme. In: AesirSports.de. URL: https://aesirsports.de/set-point-theorie-vs-settling-point-theorie/.

(9) Ruozi, G. / Bortolotti, F. / Recchia, FA. (2017): Chapter 6 – Gut-Derived Hormones—Cardiac Effects of Ghrelin and Glucagon-Like Peptide-1. In: Endocrinol Heart Health Dis. URL: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/B9780128031117000063.


 


Bildquelle Titelbild: depositphotos / tommyandone


 

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