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Versteckter Hunger: Wenn vegane Ernährung krank macht

Versteckter Hunger: Worauf Veganer achten müssen, um Nährstoffmängel zu vermeiden

Weltweit sind schätzungsweise mehr als 2 Milliarden Menschen vom „versteckten Hunger“ betroffen (2)(3). Als Ursache hierfür gilt ein chronischer Mangel an lebensnotwendigen Vitaminen und Mineralstoffen.

Die Auswirkungen dieser Nährstoffdefizite sind zwar nicht unmittelbar sicht- und spürbar, doch die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, können mitunter recht gravierend ausfallen und beinhalten – neben einer verringerten Resistenz gegenüber Erkrankungen – häufig auch eine Beeinträchtigung der kognitiven Entwicklung und führen im schlimmsten aller Fälle sogar zum Tod.

Versteckter Hunger: Worauf Veganer achten müssen, um Nährstoffmängel zu vermeiden

Nährstoffdefizite in der westlichen Welt

Entwicklungsländer sind aufgrund vielfältiger Umstände (z.B. Armut und einer daraus folgenden einseitigen Ernährung) besonders häufig vom versteckten Hunger betroffen, allerdings scheint das Phänomen auch in wirtschaftsstarken Ländern immer öfter zu einem Problem zu werden.  Ein Beispiel: Jodmangel zählst zu den häufigsten Ursachen für vermeidbare psychische Beeinträchtigungen, dennoch rangiert Großbritannien an 7. Stelle (von insgesamt 10 Ländern), wenn es um einen Mangel für dieses Spurenelement geht (4). Wirft man einen Blick jenseits des Atlantiks, so zeigen Untersuchungen in den USA, dass mehr als jedes vierte Kind unter einem Mangel an Kalzium, Magnesium oder Vitamin A leidet. Im Falle von Vitamin D und Vitamin E ist es sogar mehr als jedes zweite Kind (5).

Die westliche Welt hat jedoch in der Regel kein quantitatives Problem, wenn es um Nahrungsmittel geht, sondern viel mehr ein Qualitatives: Die Menschen setzen auf den Konsum billiger und energiereicher Lebensmittel, die jedoch häufig nährstoffarm und stark verarbeitet sind.

Mancherorts wird zudem über eine negative Entwicklung beim Mikronährstoffgehalt von Obst und Gemüse diskutiert (6), wobei man häufig von einer „Nährstoffverarmung unserer Böden“ spricht. Diese Behauptung, die in den letzten Jahren insbesondere bei Nahrungsergänzungsmittelherstellern beliebt geworden ist, die ihre Vitamin- und Mineralstoffpräparate an den Mann bringen möchten, erweist sich jedoch – bei genauerer Recherche – als irreführend und falsch (8), weshalb eine solche Aussage (zu Recht) durch eine Richtlinie des Europäischen Parlaments (2002/46/EG) bei der Produktwerbung untersagt wurde (9).

Was jedoch stimmt, ist die Tatsache, dass der Vitamin- und Mikronährstoffgehalt unserer landwirtschaftlichen Produkte von einer Vielzahl von Faktoren, darunter dem Reifegrad und Erntezeitpunkt sowie der Dauer und Art der Lagerung, abhängig sind (7). Die Zubereitungsmethode kann ebenso eine wichtige Rolle spielen (10), wobei vor allem lange Garzeiten bei hohen Temperaturen einen negativen Einfluss auf hitzesensible Vitalstoffe haben können.

Nährstoffmängel bei Veganern?

Sicherlich hast du bereits mitbekommen, dass die vegane Ernährung zurzeit einen regelrechten Hype erfährt. Immer mehr Menschen leben vegan, was bedeutet, dass sie vollständig auf Produkte und Lebensmittel tierischen Ursprungs verzichten. Aktuellen Erhebungen zur Folge leben allein in Deutschland inzwischen 1,3 Millionen Veganer (11).

Zum Vergleich: Bei der Nationalen Verzehrstudie II von 2008 lag der Anteil an Veganern bei unter 0,1% der Bevölkerung (ca. 80.000 Menschen) (12)(13).

Mal vom moralischen Aspekt abgesehen, bietet eine rein pflanzenbasierte Kost nicht nur Vorteile für die Umwelt (14), sondern auch für die Gesundheit – speziell, was die Risiken chronischer Erkrankungen betrifft (15). Der Trugschluss, dem viele von uns jedoch erliegen, ist, dass eine vegane Ernährung nicht per se gesund sein muss. Denn ganz so, wie man sich auch als „Omnivore“ ungesund ernähren kann, ist dies auch als vegan lebender Mensch möglich.

Bedingt durch die Tatsache, dass ganze Lebensmittelgruppen (wie z.B. Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte) systematisch ausgeschlossen werden, kann sich das Risiko für Nährstoffmängel signifikant erhöhen (16), wenn man genau weiß, worauf man bei der Ernährung achten muss. Und während Omnivoren diese Defizite häufig ohne allzu große Kenntnisse durch eine abwechslungsreiche Lebensmittelauswahl vermeiden können, müssen Veganer in aller Regel ein besseres Verständnis hinsichtlich gesunder Ernährung und Lebensmittelkunde mitbringen, um Engpässe gezielt zu vermeiden.

So ist beispielsweise das Thema Knochengesundheit ein wichtiger Punkt, über den sich Veganer (vor allem die weiblichen) Gedanken machen sollten, da sie häufig über zu geringe Vitamin D Spiegel (16)(17) und eine geringere Knochenmineraldichte verfügen (18). Dies erhöht wiederum das Risiko für Knochenbrüche signifikant (19).

Besondere Aufmerksamkeit erfordert zudem die ausreichende Versorgung mit Jod, Omega 3 Fettsäuren (DHA und EPA) sowie Vitamin B12 (20)(21)(22), wobei sich ein Mangel bei Letzterem normalerweise erst nach mehreren Jahren mit unzureichender Zufuhr manifestiert, da der Körper in der Regel über entsprechende Reserven verfügt. Die Folgen sollten jedoch nicht unterschätzt werden: Neben Müdigkeit und Schwäche zählen vor allem eine schlechte Verdauung und Entwicklungsstörungen (bei Kindern) zu den Symptomen eines Vitamin B12 Mangels (24). Bleibt ein derartiges Defizit unbehandelt, kann dies das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen und sogar zu irreversiblen Nervenschäden führen (24)(25).

Eine rein pflanzliche Ernährung kann für viele Menschen funktionieren, wenn man sich der Engpässe bewusst ist. Ein solcher Flaschenhals ist z.B. die ausreichende Versorgung mit EPA und DHA. Diese beiden Omega 3 Fettsäuren kommen üblicherweise nur in tierischen Produkten, wie z.B. öligem Fisch vor ... und in Mikroalgen. Dies macht sie zu einem interessanten Ergänzungsmittel für gesundheitsbewusste Veganer.

Eine rein pflanzliche Ernährung kann für viele Menschen funktionieren, wenn man sich der Engpässe bewusst ist. Ein solcher Flaschenhals ist z.B. die ausreichende Versorgung mit EPA und DHA. Diese beiden Omega 3 Fettsäuren kommen üblicherweise nur in tierischen Produkten, wie z.B. öligem Fisch vor … und in Mikroalgen. Dies macht sie zu einem interessanten Ergänzungsmittel für gesundheitsbewusste Veganer. (Bildquelle: depositphotos / baibaz)

Die Lösung für dieses Dilemma?

Vorab eine kleine Relativierung: Die sich daraus ergebende Implikation lautet nicht, dass jeder Bürger, der sich vegan ernährt, zwangsläufig von Nährstoffdefiziten betroffen ist (oder sein wird). Sehr häufig handelt es sich um Menschen, die sich bewusst ernähren und auch in anderen Bereichen einen gesünderen Lifestyle verfolgen (z.B. Nicht-Raucher, kein Alkohol, regelmäßig Sport und Bewegung usw.) (26).

Das Problem mit derartigen Ernährungstrends ist jedoch Folgendes: Nicht jeder, der auf den Zug aufspringt, hat das tiefergehende Know-How im Bereich der Ernährung (oder die Muße, es sich anzueignen), um mögliche Engpässe durch eine smartere Lebensmittelauswahl zu vermeiden.  Der vegane Weg schließt jedoch eine beträchtliche Anzahl an Lebensmittelgruppen aus dem Speiseplan aus, was das Risiko für Nährstoffdefizite erhöhen kann (Stichwort: Pudding- bzw. Nudel-Veganer).

In Entwicklungsländern hat man das Problem des versteckten Hungers unlängst erkannt. Eine der häufigen Maßnahmen, die dort im Kampf gegen derartige Nährstoffdefizite ergriffen werden, bestehen darin, Programme zur Nährstoffanreicherung von Lebensmitteln aufzusetzen. In Anbetracht der Tatsache, dass der Markt für vegane Lebensmittel – bedingt durch die gestiegene Nachfrage – geradezu boomt (und sich das Sortiment in den kommenden Jahren noch weiter vergrößern wird), wäre es vielleicht angebracht, dass man hierzulande ähnliche Strategien ergreift, um potenziellen Nährstoffdefiziten in der westlichen Welt zu begegnen.

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Quellen, Referenzen & Weiterführende Literatur

(1) Elliot, C. / Situ, C. / McEvoy, C. (2018): Vegan diets are adding to malnutrition in wealthy countries. https://theconversation.com/vegan-diets-are-adding-to-malnutrition-in-wealthy-countries-107555.

(2) FAO.org (2012): Hidden Hunger – From Assessment to Solutions. URL: http://www.fao.org/fsnforum/news/hidden-hunger-assessment-solutions.

(3) Biesalski, HK. (2013): Hidden Hunger. In: Springer. URL: https://www.springer.com/gp/book/9783642339493.

(4) Vanderpump, MP., et al. (2011): Iodine status of UK schoolgirls: a cross-sectional survey. In: Lancet. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21640375.

(5) Fulgoni, VL., et al. (2011): Foods, Fortificants, and Supplements: Where Do Americans Get Their Nutrients? In: J Nutr. URL: https://academic.oup.com/jn/article/141/10/1847/4630521.

(6) Davis, DR. (2009): Declining Fruit and Vegetable Nutrient Composition: What Is the Evidence? In: HortSci. URL: https://journals.ashs.org/hortsci/view/journals/hortsci/44/1/article-p15.xml.

(7) Verbraucherzentrale: Sind unsere Böden und Pflanzen arm an Nährstoffen? URL: https://www.klartext-nahrungsergaenzung.de/wissen/projekt-klartext-nem/sind-unsere-boeden-und-pflanzen-arm-an-naehrstoffen-17734.

(8) Deutsche Gesellschaft für Ernährung (2006): Gemüse und Obst sind nicht nährstoffverarmt! URL: https://web.archive.org/web/20140612065545/http://www.dge.de/modules.php?name=News&file=article&sid=598.

(9) Europa.eu (2002): Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel. URL: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32002L0046:DE:HTML.

(10) Minichowski, DN. (2018): Die Mikrowelle: Über Gesundheit, Nährwerte & Sicherheit. In: Metal Health Rx: 01/2018. URL: https://patreon.aesirsports.de/mikrowelle-gesundheit-naehrwerte-sicherheit/.

(11) Skopos (2016): 1,3 Millionen Deutsche leben vegan. URL: https://www.skopos-group.de/news/13-millionen-deutsche-leben-vegan.htm.

(12) Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2008): Nationale Verzehrstudie II. Ergebnisbericht, Teil 1. URL: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ernaehrung/NVS_Ergebnisbericht.pdf?__blob=publicationFile.

(13) Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2008): Nationale Verzehrstudie II. Ergebnisbericht, Teil 2. URL: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ernaehrung/NVS_ErgebnisberichtTeil2.pdf?__blob=publicationFile.

(14) Springmann, M., et al. (2016): Analysis and valuation of the health and climate change cobenefits of dietary change. In: PNAS. URL: https://www.pnas.org/content/early/2016/03/16/1523119113.

(15) Segovia-Siapco, G. / Sabaté, J. (2019): Health and sustainability outcomes of vegetarian dietary patterns: a revisit of the EPIC-Oxford and the Adventist Health Study-2 cohorts. Eur J Clin Nutr. URL: https://www.nature.com/articles/s41430-018-0310-z.

(16) McEvoy, CT., et al. (2012): Vegetarian diets, low-meat diets and health: a review. In: Pub Health Nutr. URL: https://www.cambridge.org/core/journals/public-health-nutrition/article/vegetarian-diets-lowmeat-diets-and-health-a-review/CFE7D0A7ADA80651A3DC03892287BABA.

(16) Elorinne, AL., et al. (2016): Food and Nutrient Intake and Nutritional Status of Finnish Vegans and Non-Vegetarians. In: PLoS One. URL: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0148235.

(17) Crowe, FL., et al. (2011): Plasma concentrations of 25-hydroxyvitamin D in meat eaters, fish eaters, vegetarians and vegans: results from the EPIC–Oxford study. In: Pub Health Nutr. URL: https://www.cambridge.org/core/journals/public-health-nutrition/article/plasma-concentrations-of-25hydroxyvitamin-d-in-meat-eaters-fish-eaters-vegetarians-and-vegans-results-from-the-epicoxford-study/13C1A2796ADA3A318D4F3B7C105D9D9C.

(18) Tong, TYN., et al. (2018): Anthropometric and physiologic characteristics in white and British Indian vegetarians and nonvegetarians in the UK Biobank. In: Am J Clin Nutr. URL: https://academic.oup.com/ajcn/article/107/6/909/5032650.

(19) Appleby, P., et al. (2007): Comparative fracture risk in vegetarians and nonvegetarians in EPIC-Oxford. In: Eur J Clin Nutr. URL: https://www.nature.com/articles/1602659.

(20) Obersby, D., et al. (2013): The prevalence of cobalamin deficiency among vegetarians assessed by serum vitamin B12: a review of literature. In: Br J Nutr. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23298782.

(21) Kristensen, NB., et al. (2015): Intake of macro- and micronutrients in Danish vegans. In: Nutr J. URL: https://nutritionj.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12937-015-0103-3.

(22) Saunders, AV. / Davis, BC. / Garg, ML. (2013): Omega-3 polyunsaturated fatty acids and vegetarian diets. In: Med J Aust. URL: https://www.mja.com.au/journal/2013/199/4/omega-3-polyunsaturated-fatty-acids-and-vegetarian-diets.

(23) Pawlak, R., et al. (2013): How prevalent is vitamin B12 deficiency among vegetarians? In: Nutr Rev. URL: https://academic.oup.com/nutritionreviews/article/71/2/110/1940320.

(24) Green, R., et al. (2017): Vitamin B12 deficiency. In: Nat Rev Dis Primers. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28660890.

(25) Woo, KS. / Kwok, TCY. / Celerajer, DS. (2014): Vegan Diet, Subnormal Vitamin B-12 Status and Cardiovascular Health. In: Nutr. URL: https://www.mdpi.com/2072-6643/6/8/3259.

(26) Phillips, F. (2005): Vegetarian nutrition. Nutr Bullet. URL: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/j.1467-3010.2005.00467.x.

(27) Thamm, M., et al. (2007): [Iodine intake in Germany. Results of iodine monitoring in the German Health Interview and Examination Survey for Children and Adolescents (KiGGS)]. In: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17514459.


Bildquelle Titelbild: depositphotos / olly18


 

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