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Allein Vs. Zusammen: Welchen Einfluss hat das Essen in (guter) Gesellschaft auf die Kalorienzufuhr?

Soziale Erleichterung: Welchen Einfluss hat das Essen in (guter) Gesellschaft auf die Nahrungs- & Kalorienzufuhr?

Der Mensch ist ein überaus soziales Lebewesen, dessen Verhalten in hohem Maße von der Gesellschaft, in der er lebt, beeinflusst wird. Dies trifft selbstverständlich auch auf Situationen zu, deren wir uns gar nicht bewusst sind – oder hast du dir schon einmal Gedanken darüber gemacht, welchen Einfluss die Gegenwart von Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten darauf hat, was und wie viel du isst? Vermutlich nicht.

Aus vergangenen Untersuchungen und Studien wissen wir, dass Individuen dazu tendieren, mehr zu essen, wenn sie sich in Gruppen aufhalten (verglichen mit Situationen, in denen sie ihre Mahlzeiten alleine zu sich nehmen) (10)(11).

Die „Social Facilitation“-Theorie (zu Deutsch: „Theorie der sozialen Erleichterung“) besagt, dass sich die individuelle Leistung von Tier und Mensch verbessert, wenn Artgenossen anwesend sind. Entsprechende Effekte (Potenzierung dominanter Reaktionen) wurden u.a. bei einer Vielzahl von kognitiven und physischen Aufgaben durch die Präsenz von Mitmenschen nachgewiesen (12).

Trifft man sich nun in einer geselligen Runde, in der große Mengen an Nahrung auf dem Tisch kredenzt werden, dann besteht die dominante Reaktion eben darin, zu essen. Und die Leistungssteigerung, die damit einhergeht, ist ein erhöhter Verzehr von Nahrung (9)(13)(14).

Durchschnittliche Mahlzeitengröße in kcal (durchgezogene Linie) bzw. Kilokalorien, die durch die Aufnahme von Kohlenhydraten (●), Fett (*), Protein (X) oder Alkohol (+) zuzuschreiben ist, in Abhängigkeit von der Anzahl der Personen, die bei der Mahlzeit anwesend waren. (Bildquelle: de Castro, 1995)

Durchschnittliche Mahlzeitengröße in kcal (durchgezogene Linie) bzw. Kilokalorien, die durch die Aufnahme von Kohlenhydraten (●), Fett (*), Protein (X) oder Alkohol (+) zuzuschreiben ist, in Abhängigkeit von der Anzahl der Personen, die bei der Mahlzeit anwesend waren. (Bildquelle: de Castro, 1995)

Dementsprechend wird dieses Phänomen in der wissenschaftlichen Literatur als „Social Facilitation of Eating“ bezeichnet:

The present results demonstrate that it [social facilitation] occurs regardless of whether a snack or a meal is ingested, regardless of whether the meal is accompanied by alcohol or not, and regardless of when or where it is eaten. On the basis of these findings it would seem reasonable to conclude that social facilitation of eating is the most important and all pervasive influence on eating yet identified.

De Castro et al., 1990

Vor dem Hintergrund, dass auch heute noch viele Menschen ihre täglichen Mahlzeiten im Beisein ihrer Mitmenschen einnehmen (z.B. gemeinsames Abendessen mit der Familie, Mittagessen mit Kollegen, Restaurantbesuch mit Freunden etc.), könnte der soziale Erleichterungseffekt eine bedeutsame Rolle bei der Entstehung von Übergewicht spielen (3) – insbesondere dann, wenn man die heutige Nahrungsverfügbarkeit und -qualität (Stichwort: kalorien-, fett- und kohlenhydratreiches Junk Food) in die Überlegung mit einbezieht.

Erfreulicherweise erschien im letzten Jahr eine neue Arbeit in Form eines systematischen Reviews (samt Meta-Analyse), die sich eingehender mit der aktuellen Studienlage zur sozialen Erleichterung des Essens befasst hat, auf die ich in den nachfolgenden Zeilen näher eingehen möchte.

Hinweis: Dieser Artikel erschien als Editorial-Beitrag in der Oktober 2020 Ausgabe des MHRx Magazins. Registriere dich kostenlos oder logge dich mit deinem bestehenden Account ein, um weitere Editorals zu lesen.

Sozialer Erleichterung: Welchen Einfluss hat das Essen in (guter) Gesellschaft auf die Nahrungs- & Kalorienzufuhr?

Was wurde untersucht?

Bei der Analyse von Ruddock et al. (2019) handelt es sich um die erste Arbeit ihrer Art, nämlich ein systematisches Review mit Meta-Analyse (welches die PRISMA-Qualitätsstandards einhält), bei dem der Versuch unternommen wurde, die bisherige Literatur zu dem besagten Phänomen zu erfassen und auszuwerten, um potenzielle Schlüsselfaktoren und zugrunde liegenden Mechanismen zu identifizieren, die eine gesteigerte Nahrungs- und Kalorienaufnahme begünstigen (2).

Damit ergänzt diese Arbeit zwei erst kürzlich publizierte Reviews von Peter C. Herman, welche Interessierten einen guten (und unkomplizierten) Überblick zu diesem spannenden Thema liefern (3)(4), welches bereits seit den 1930ern studiert wird (5).

Die Untersuchung berücksichtigt insgesamt 42 Studien – und damit die Daten von 6.051 Probanden aller Altersgruppen – wobei auch darauf geachtet wurde, dass nur solche Trials inkludiert wurden, bei denen die Mitmenschen („Co-Eaters“) ebenfalls gegessen haben, da nicht-essende Anwesende womöglich einen verzerrenden Effekt auf das Ergebnis haben könnten.

Was fanden die Forscher heraus?

Bei ihrer Meta-Analyse fanden die Forscher heraus, dass der soziale Kontext einen signifikanten Effekt auf die Nahrungszufuhr ausübte. Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass die berücksichtigten Studien einen hohen Grad an Heterogenität aufweisen, was es gemeinhin schwierig macht, die einzelnen Untersuchungen miteinander zu vergleichen.

Der dazugehörige Forest-Plot (siehe nachfolgende Grafik) lässt vermuten, dass es einen Unterschied macht, mit welchen Menschen man seine Mahlzeiten zu sich nimmt, wobei der soziale Erleichterungseffekt stärker ausfiel, wenn mit Freunden gegessen wurde (verglichen mit einer Nahrungsaufnahme mit Bekannten oder Fremden).

Forest-Plot für experimentelle Studien zum Vergleich der Nahrungsaufnahme, wenn die Teilnehmer allein und/oder in Gruppen aßen. Das „Total“ bezieht sich auf die Anzahl der Teilnehmer. Studien werden danach gruppiert, ob die Teilnehmer mit Freunden oder mit Fremden/Bekannten aßen. IV = Inabhängige Variable. (Bildquelle: Ruddock et al., 2019)

Forest-Plot für experimentelle Studien zum Vergleich der Nahrungsaufnahme, wenn die Teilnehmer allein und/oder in Gruppen aßen. Das „Total“ bezieht sich auf die Anzahl der Teilnehmer. Studien werden danach gruppiert, ob die Teilnehmer mit Freunden oder mit Fremden/Bekannten aßen. IV = Inabhängige Variable. (Bildquelle: Ruddock et al., 2019)

In den nachfolgenden Abschnitten gehe ich exemplarisch auf einige der Faktoren ein, die gemäß der Analyse einen entscheidenden Einfluss auf die Nahrungs- und Kalorienzufuhr in Gesellschaft zu haben scheinen (ich werde bzw. kann jedoch nicht auf alles eingehen, da dies natürlich den Rahmen des Beitrags sprengen würde).

Alleine Vs. Gemeinsam

  • In Studien, in denen Ernährungstagebüchern geführt wurden, fiel die Mahlzeitengröße im Schnitt um 29% bzw. 48% größer aus, wenn mit anderen Menschen zusammen gegessen wurde (verglichen mit einer Situation, wo die Nahrungsaufnahme alleine stattfand) (15)(16)(17).
  • In einer anderen Arbeit verzehrten die Studienteilnehmer bis zu 23% mehr, wenn sie zusammen mit Freunden, Familienmitgliedern oder Arbeitskollegen gegessen haben (ebenfalls im Vergleich zu einer Nahrungsaufnahme, die alleine stattfand) (18).
  • Bei übergewichtigen Frauen fielen die Mahlzeiten in Gesellschaft um 29% größer aus, als Mahlzeiten, die alleine eingenommen wurden (19).
  • In einer Untersuchung erhöhte die Gegenwart von Leuten, die etwas gegessen haben, die Wahrscheinlichkeit, dass der Proband angab, einen Snack gegessen zu haben (20).
  • In zwei Beobachtungsstudien stellte man fest, dass Teilnehmer, die in Gruppen gegessen haben, rund 12% mehr gegessen haben, als Teilnehmer, die allein gegessen haben (21)(22). Der soziale Erleichterungseffekt wurde in einer der Arbeiten jedoch nur bei normalgewichtigen Individuen nachgewiesen (22). Übergewichtige Männer und Frauen aßen in Gesellschaft 18% weniger (587 kcal Vs. 479 kcal).
  • In einer weiteren Beobachtungsstudie konnten die Wissenschaftler keinen Nachweis für einen sozialen Erleichterungseffekt nachweisen (23).

Vertrautheit

  • Die Ergebnisse der Meta-Analyse lassen vermuten, dass es eine wichtige Rolle spielt, ob man die Person(en), mit der (denen) man isst, kennt oder nicht.
  • In Untersuchungen, bei denen die Probanden mit Fremden bzw. Arbeitskollegen gegessen haben, aßen diese nicht signifikant mehr, als in der Situation, wo sie alleine gegessen haben. Dem gegenüber führte das gemeinsame Essen mit vertrauten Gesichtern in einem kleinen Set aus Studien zu einer erhöhten Nahrungszufuhr (24)(25)(26)(27).
  • Die Resultate stimmen mit dem Ergebnis einer weiteren Studie überein, bei der die Gruppengröße eine zuverlässige Variable zur Vorhersage der verzehrten Nahrungsmenge unter Freunden und Familienmitgliedern – jedoch nicht bei weniger vertrauten Arbeitskollegen – darstellte (28).

Geschlecht

  • In einer der Studien aßen Frauen die gleiche Menge wie die Männer, sofern sie sich in kleineren Gruppen (weniger als 3 Individuen) aufhielten. In größeren Gruppen änderte sich dies, so dass die Frauen dann signifikant weniger aßen, als die Männer (21).
  • Eine andere Studie mit Self-Report fand, übereinstimmend mit dem Ergebnis der vorherigen Untersuchung, eine stärkere Korrelation zwischen Mahlzeitengröße und der Anzahl der Leute, die beim Essen präsent waren, in Männern (verglichen zu Frauen) (29).
  • In einigen anderen Experimenten konnte keine signifikante Interaktion zwischen Geschlecht und sozialem Kontext nachgewiesen werden (30)(31)(32)(33), allerdings untersuchten diese Studien auch nicht die Auswirkungen der sozialen Erleichterung des Essens unter Freunden.
  • In einer dieser Studien konnten die Wissenschaftler eine unterschiedliche geschlechtliche Wirkung feststellen. Sowohl Männer, als auch Frauen aßen in der Gruppe mehr, wenn man ihnen Eiscreme mit einer Geschmacksrichtung gab. Als die Auswahl der Geschmacksrichtungen auf drei Geschmäcker erhöht wurde, aßen jedoch nur die Frauen mehr (30).
  • In zwei Beobachtungsstudien stellten die Forscher fest, dass Geschlecht und die Zusammensetzung der Gruppe eine wichtige Rolle spielt. In einer der Untersuchungen aßen Männer – jedoch nicht Frauen – mehr, wenn die Gruppe gemischt war und aus drei oder mehr Individuen bestand (34). In dem anderen Experiment wirkte sich die Anzahl der Männer, die sich in der Gruppe befanden, negativ auf die Kalorienzufuhr der Frauen aus. Die Anzahl der Frauen in der Gruppe hatte dagegen eine positive Wirkung auf die Kalorienzufuhr der Frauen (35).

Ernährungsrestriktion & Gewichtsstatus

  • In zwei experimentellen Studien wurde der soziale Erleichterungseffekt aufs Essen in Individuen studiert, die „mehr oder weniger“ gewissen Einschränkungen bei ihrer Ernährung unterlegen waren. In einer dieser Arbeiten konnte kein Effekt nachgewiesen werden (36). In der anderen Studie wurde ein signifikanter Effekt beim gemeinsamen Essen mit vertrauten Gesichtern identifiziert, allerdings hatte die Ernährungsrestriktion keine Wirkung (26).
  • In einer Untersuchung, bei der Ernährungstagebücher geführt wurden, erhöhte sich die Nahrungszufuhr in Abhängigkeit der Mitmenschen, die am Essen teilnahmen (jedoch unabhängig von der Ernährungsrestriktion) (37).
  • Es gab zwei Arbeiten, die den sozialen Erleichterungseffekt im Kontext des Körpergewichts untersucht haben. In einem dieser Experimente zeigte sich ein signifikanter Effekt in Gruppen bei normalgewichtigen Individuen, während übergewichtige Probanden eine höhere Kalorienzufuhr aufwiesen, wenn sie alleine gegessen haben (22). In der zweiten Studie fanden die Wissenschaftler dagegen keinen signifikanten Effekt bei normalgewichtigen Personen, während sich Übergewichtige in der Gruppe zurückhielten und mehr aßen, wenn sie alleine für sich waren (23).
  • Ein ähnliches Ergebnis fand sich in einer Studie mit Kindern, wobei normalgewichtige Kinder in der Gruppe mehr gegessen haben, wogegen übergewichtige Kinder eine höhere Zufuhr aufwiesen, wenn sie alleine gegessen haben (31). In einer anderen Untersuchungen führte der soziale Kontext weder in normalgewichtigen noch übergewichtigen Individuen zur einer gesteigerten Nahrungsaufnahme in der Gruppe (38). Das Körpergewicht hatte zudem in einer weiteren Untersuchung bei normalgewichtigen und übergewichtigen Männern keinen signifikanten Effekt auf die Nahrungsaufnahme in der Gruppe (39). Allen drei Studien war jedoch gemein, dass sie den sozialen Erleichterungseffekt in Gruppen mit Fremden studiert haben, was die Ergebnisse beeinflusst haben könnte. Gemäß den Autoren der Meta-Analyse gibt es bis dato noch keine Arbeit, die den Effekt in Abhängigkeit des Körpergewichts in Gruppen mit Freunden untersucht hat.

Weitere Einflussfaktoren

Die Meta-Analyse von Ruddock et al. (2019) beleuchtet noch einige weitere Faktoren, die einen Einfluss auf die Nahrungszufuhr in der Gesellschaft anderer haben (oder nicht haben), darunter:

  • Die Art der Nahrungsmittel: Einige Arbeiten (aber nicht alle) fanden einen Zusammenhang zwischen fett- und proteinreichen bzw. fettigen und süßen Lebensmitteln oder stellten fest, dass beim Essen in Gesellschaft oft Fleisch verzehrt wird.
  • Die Gruppengröße: Es scheint einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Leute, die beim Essen bzw. dem Verzehr von Snacks präsent sind und der vermehrten Nahrungsaufnahme in gesunden (und untergewichtigen) Individuen zu geben. Je mehr Leute, desto größer die Mahlzeit. Frauen scheinen in größeren Gruppen weniger zu essen, als in kleineren Gruppen. Doch auch hier gab es Studien, wo kein Effekt nachgewiesen werden konnte.
  • Die Dauer der Mahlzeit: Einige Untersuchungen fanden einen positiven Zusammenhang zwischen der Dauer des Essens und der verzehrten Menge (sowie der Gruppengröße). Das Essen mit Freunden und Familie scheint eine höhere Aufnahme zu begünstigen (erhöhte Essensdauer + schnellere Essrate = höhere Kalorienzufuhr pro Minute).
  • Potenzielle Ablenkung: Eine erhöhte Nahrungsaufnahme wurde in Untersuchungen nachgewiesen, wo die Probanden neben dem Essen noch ferngesehen, einer Unterhaltung bzw. Geschichte gelauscht oder Musik gehört haben. Beim Essen mit Freunden und einer Berieslung vom TV erhöhte sich die Aufnahme um 18%. Wer dagegen ohne Gesellschaft, aber mit TV als Ablenkung, aß, verzehrte immerhin noch 14% mehr (im Vergleich zum Essen unter sich ohne Ablenkung).
  • Die Stimmung: Einige Studien berichteten von einer gesteigerten Euphorie bzw. Angstniveau vor und nach gemeinsamen Essen, in Relation zu einer Nahrungsaufnahme, die allein stattfand, allerdings lassen andere Arbeiten vermuten, dass diese Variablen keine adäquate Erklärung für den sozialen Erleichterungseffekt beim Essen in Gruppen liefern. Gemeinsame Mahlzeiten mit Freunden und Familie wirken sich eher begünstigend aus.
  • Normen der angemessenen Nahrungszufuhr: Die Wahrnehmung dessen, was eine angemessene Nahrungszufuhr ist, scheint bei der Mahlzeitengröße einen wichtigen Faktor zu spielen. Dabei scheint vor allem die Gruppengröße und das, was die Mitmenschen selbst essen (oder sich bestellen) darüber zu entscheiden, wie viel man selbst isst. („Ein Individuum versucht so viel zu essen, wie möglich, ohne dass es dabei als gefräßig angesehen wird“, d.h. weniger, als der größte Esser der Gruppe).
  • Die Bekömmlichkeit der Nahrung / Appetit: Mahlzeiten, die zusammen mit einer Frau eingenommen wurden, wurden sowohl von Männern, als auch Frauen als „bekömmlicher“ eingestuft (verglichen mit Mahlzeiten, wo mehrere Frauen in der Gruppe anwesend waren). Eine andere Arbeit widerspricht jedoch der Hypothese, dass die Bekömmlichkeit den Zusammenhang zwischen Gruppengröße und verzehrter Menge beeinflusst.

Freund & Familienmitglied oder Arbeitskollege? Es zeigt sich, dass die Vertrautheit unserer Mitmenschen eine wichtige Rolle bei der verzehrten Nahrungsmenge spielt. Wer mit den (weniger gut bekannten) Arbeitskollegen essen geht, der will oft nicht als gefräßig erscheinen. Das gilt vermutlich umso mehr, wenn man bereits das eine oder andere unliebsame Pfund an der Hüfte mit sich herumschleppt. (Bildquelle: depositphotos / ArturVerkhovetskiy

Freund & Familienmitglied oder Arbeitskollege? Es zeigt sich, dass die Vertrautheit unserer Mitmenschen eine wichtige Rolle bei der verzehrten Nahrungsmenge spielt. Wer mit den (weniger gut bekannten) Arbeitskollegen essen geht, der will oft nicht als gefräßig erscheinen. Das gilt vermutlich umso mehr, wenn man bereits das eine oder andere unliebsame Pfund an der Hüfte mit sich herumschleppt. (Bildquelle: depositphotos / ArturVerkhovetskiy

Zusammenfassung & Abschließende Worte

Unter dem Strich gibt es eine sehr starke Evidenz dafür, dass Menschen in geselliger Runde größere Portionen essen (und damit selbstverständlich auch mehr Kalorien aufnehmen), als wenn sie alleine (und ohne anderweitige Ablenkung, wie z.B. Fernsehen) für sich essen.

Ein wichtiger Faktor, den man in diesem Kontext hervorheben sollte, ist, dass es eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen scheint, mit wem diese Mahlzeiten eingenommen werden:

  • Generell sieht es so aus, dass sich Menschen eher dazu verleiten lassen, am Esstisch so richtig zuzuschlagen, wenn sie sich mit vertrauten Personen, z.B. Freunden und Familien, umgeben.
  • Demgegenüber scheint das gemeinsame Essen mit Fremden oder weniger gut bekannten Arbeitskollegen nicht immer dazu zu führen, dass man mehr isst.

Die Gruppengröße und das Geschlecht (sowie die Verteilung der Geschlechter innerhalb der Gruppe) scheinen weitere wichtige Einflussfaktoren sein, welche die Nahrungsaufnahme im sozialen Kontext beeinflussen. Dabei deutet die aktuelle Studienlage darauf hin, dass das Körpergewicht bzw. selbst auferlegte (?) Ernährungsrestriktionen (wie z.B. das Halten einer Diät?) dazu führen können, dass sich übergewichtige Individuen bei der Nahrungsaufnahme in Gruppen tendenziell zurückhalten und damit mehr Kalorien essen, wenn sie alleine ihre Mahlzeiten einnehmen.

Das Zusammenkommen und gemeinsame Essen wird in unserer Gesellschaft generell als etwas Positives gesehen. Wir stärken damit nicht nur unsere interpersonale Beziehung zu unseren Mitmenschen, sondern steigern auch unser persönliches Wohlbefinden, wie beispielsweise Untersuchungen zeigen, die sich mit der Mahlzeiteneinnahme im familiären Rahmen beschäftigt haben (40). Demgegenüber werden Menschen, die lieber alleine essen, häufig kritisch beäugt, was vielleicht dazu führt, dass dieses Verhalten weder wünschenswert noch sozial akzeptiert ist (41)(42).

Wie so oft, gestaltet es sich schwierig, konkrete Tipps für die Praxis aus solchen Erkenntnissen abzuleiten, da die individuelle Situation stets berücksichtigt werden sollte:

  • Wenn du jemand bist, der sich gerne beim gemeinsamen Essen entspannt und sich dabei auch mal 1-2 Extra-Portionen gönnt, dann ist das solange in Ordnung, wie du mit deinem Gewicht und deiner Körperkomposition zufrieden bist. Vielleicht bist du ja von Haus aus schlank (oder untergewichtig) oder du trainierst intensiv, so dass dir die Extrakalorien zu Gute kommen.
  • Bist du stattdessen unzufrieden mit deiner Figur, vielleicht gar übergewichtig oder gerade auf Diät, solltest du dir bewusst machen, welchen Effekt der soziale Kontext (völlig unbewusst) auf deine Nahrungsaufnahme haben kann.

Es geht dann auch nicht darum, soziale Veranstaltungen, bei denen gegessen wird, völlig zu meiden und sich zu isolieren, sondern viel mehr Strategien und Gewohnheiten zu entwickeln, mit denen du eine unerwünschte (erhöhte) Kalorienaufnahme vermeidest, aber dennoch in den Genuss der sozialen Interaktion mit deinen Mitmenschen kommst.

Denn der Mensch ist ein überaus soziales Lebewesen – und es gibt vermutlich nichts Besseres und Erheiterndes, als wenn man mit den Menschen, die man so sehr liebt und schätzt, etwas qualitative Zeit verbringt und sich dabei ein leckeres Mahl gönnt, oder?

Quellen, Referenzen & Weiterführende Literatur

Primärliteratur

(1) Aragon, A. (2019): AARR. August ssue 2019. Erhältlich auf Alanaragon.com.

(2) Ruddock, HK., et al. (2019): A systematic review and meta-analysis of the social facilitation of eating. In: Am J Clin Nutr. URL: https://doi.org/10.1093/ajcn/nqz155.

Sekundärliteratur

(3) Herman, CP. (2015): The social facilitation of eating. A review. In: Appetite. URL: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25265153/.

(4) Herman, CP. (2017): The social facilitation of eating or the facilitation of social eating? In: J Eat Disord. URL: https://jeatdisord.biomedcentral.com/articles/10.1186/s40337-017-0146-2.

(5) Harlow, HF. (1932): Social facilitation of feeding in the albino rat. In: J Genet Psychol. URL: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/08856559.1932.9944151.

(6) Liberati, A., et al. (2009): The PRISMA statement for reporting systematic reviews and meta-analyses of studies that evaluate health care interventions: Explanation and elaboration. In: PLoS Med. URL: https://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.1000100.

(7) Holoien, DS. / Fiske, ST. (2013): Downplaying positive impressions: compensation between    warmth and competence in impression management. In: J Exp Soc Psychol. URL: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0022103112001813.

(8) Vartanian, LR., et al. (2015): Modeling of food intake: a meta-analytic review. In: Soc Influence. URL: https://www.researchgate.net/publication/276180182_Modeling_of_food_intake_a_meta-analytic_review.

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(39) Edelman, B., et al. (1986): Environmental effects on the intake of overweight and normal-weight men. In: Appetite. URL: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/3963800/.

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(42) Pliner, P., et al. (2009): The pain and pleasure of eating alone. In: Meiselman, HL. (Ed.): Meals in science and practice: Interdisciplinary research and business applications. Cambridge (UK): Woodhead Publishing Limited: S. 169–189. Erhältlich auf Amazon.de.

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