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Die Sportpille: Ist körperliche Ertüchtigung bald überflüssig?

Die Sportpille: Ist körperliche Ertüchtigung bald überflüssig?

Sport und körperliches Training gehört für viele Menschen neben einer natürlichen Ernährung zu einem gesunden Lifestyle dazu. Es wäre allerdings sehr naiv, wenn man nun annehmen würde, dass alle Sportler ins Fitnessstudio gehen, weil sie Spaß an der körperlichen Ertüchtigung haben. Wer trainiert – egal ob aus Leidenschaft oder Mittel zum Zweck – der tut dies, weil es keinen anderen Weg gibt, um in den Genuss der Vorteile zu kommen, die das Training mit sich bringt.

Der Trainierende weiß schon, wieso er das Ganze macht: In einem Zeitalter, in der die westliche Zivilisation immer dicker und kränker wird, stellt Sport neben einer smarten Ernährung die einzige Möglichkeit dar, um die in eine gewünschte Richtung zu manipulieren.

Der höhere Kalorienverbrauch sorgt dafür, dass mehr stoffwechselaktive Masse (Muskulatur) aufgebaut wird, während Körperfett schmilzt. Muskeln sind kompakter, funktionaler und auch ästhetischer, als ein hoher Körperfettanteil. Mehr Bewegung reduziert das Risiko für Übergewicht, Diabetes, hält das Herz-Kreislaufsystem gesund – und kann sogar vor Krebs schützen (2).

Man schlägt also zwei Fliegen mit einer Klappe: Fitter Körper bei besserem Aussehen und eine höhere Gesundheit.

Aber was wäre, wenn man durch die Einnahme eines Ergänzungsmittels oder Medikaments ähnliche Effekte erzielen könnte, wie mit Sport? Würdest du dann noch zelotisch ins Studio rennen und dir beim Training den sprichwörtlichen Ar*** aufreißen?

Die Sportpille: Ist körperliche Ertüchtigung bald überflüssig?

In Wissenschaft und Forschung sucht man schon seit längerem nach der magischen Wunderpille, die dafür sorgt, dass körperliche Ertüchtigung obsolet wird. Kein Wunder: Dahinter verbirgt sich angesichts des steigenden Übergewichts (und dessen gesundheitlichen Folgewirkungen) ein milliardenschweres Geschäft – wer eine „Sportpille“ entwickelt und erfolgreich am Markt positioniert, der hat für den Rest seines Lebens ausgesorgt. Man würde es ihm quasi aus der Hand reißen.

Die Sportpille: Ist körperliche Ertüchtigung bald überflüssig?

Es könnte so einfach sein: Dose auf, Pille rein. Gesundheit und fitter Körper ahoy! (Bildquelle: Fotolia / pongsak1)

Sportpille? Was kann man sich darunter vorstellen?

Bewegung, Sport und Training aktivieren im Körper unzählige Prozesse und molekulare Signalpfade, die schlussendlich dafür sorgen, dass all die vielen gesundheitlichen Effekte zu Tage treten. Könnte man auf chemischem Wege diese Prozesse in Gang setzen, so hätte man theoretisch ein Produkt, welches durch die Einnahme wie Sport wirkt.

Das Problem? Der menschliche Stoffwechsel ist überaus komplex, so dass wir selbst heute mit ausgereifter Technik nicht in der Lage sind darzustellen alle Auswirkungen von Training und Bewegung zu benennen – geschweige denn nachzuvollziehen, auf welchem Wege sie sich manifestieren oder was (auf molekularer Ebene) nun eigentlich passiert ist. Oder anders formuliert: Wir kennen nur einen Teil der Story und besitzen nicht das große Gesamtbild.

Die meisten Supplemente und Medikamente sind in der Lage die offensichtlichen Signalpfade zu manipulieren und haben damit gute Chancen zumindest teilweise die Auswirkung von Sport zu imitieren.

Sportpille: Die potenziellen Kandidaten

Du magst dich nun sicher zurecht fragen, was da für uns in der Pipeline wartet und auf welches Pferd man sein Geld setzen sollte, wenn man die lästige Pflicht des Sporttreibens hinter sich lassen möchte.

Zu diesem Zweck untersuchten Forscher von der University of British Columbia in Vancouver einige der vielversprechendsten Produkte, die sich in der Entwicklung befinden (oder bereits erhältlich sind) und die am ehesten den Titel als Sportpille verdient haben (1). Hierzu teilte man die Substanzen in 3 Kategorien ein:

  1. Pharmakologische Agonisten (z.B. AICAR, GW501516, GSK4716, SR9009),
  2. Hormone (z.B. MOTs-c, Irisin)
  3. Phytochemikalien (z.B. Resveratrol, (-)epicatechin)

Einiges kommt dem geneigten Aesir Sports Leser vielleicht bekannt vor, während anderes nur einen Buchstabensalat ergibt (das sind dann die Sachen, die sich in der Entwicklung befinden; Achtung – alles Top Secret!).

Kandidat #1: AICAR

Nehmen wir als Beispiel AICAR (das steht nicht etwa für Acetyl-L-Carnitin sondern steht für AICA ribonucleotide, eine analoge Form des Adenosin-Monophosphat aka AMP) aus der Reihe der pharmakologischen Agonisten. AICAR ist in der Lage das Protein AMPk zu aktivieren. Wer sich ein wenig mit anabolen und katabolen Prozessen im Körper auskennt, der weiß, dass AMPk eine wichtige Rolle in der Energiehomoöstase (Gleichgewicht) einnimmt: Es schützt die Zellen vor Energiemangel (ATP-Mangel) und moduliert den Protein- und Fettstoffwechsel.

Die Sportpille: Ist körperliche Ertüchtigung bald überflüssig?

Sport und Bewegung aktiviert AMPk und sorgt dafür, dass die Zelle nicht auf dem trockenen Sitz. Dies hat einen beschleunigten Stoffwechsel zur Folge. (Bildquelle: Fotolia / nd3000)

Körperliche Anstrengung und Sport tun dies im Wesentlichen auch, denn jede Form von Bewegung muss entsprechend mit Energie befeuert werden. Und je intensiver du trainierst, desto massiver muss den Körper daran arbeiten neue Energie bereitzustellen. Sinkt das Energieniveau ausreichend ab, greifen Maßnahmen, welche die Energiebereitsstellung hochfahren um dem Bedarf gerecht zu werden.

Die Aktivierung von AMPk hat auch zur Folge, dass ein weiteres Protein namens PGC-1x aktiviert wird, welches für eine mitochondriale Biogenese und der Transformation von Muskelfasern verantwortlich ist.

„Das bedeutet, dass die Behandlung mit AICAR zur Aktivierung von AMPK führt und AMPK anschließend direkt oder indirekt mit PGC-1x interagiert, wodurch ein verbesserter oxidativer Stoffwechsel, eine verbesserte mitochondriale Biogenese und Faser-Typen Transformation in der Skelettmuskulatur erfolgt. Zählt man das zusammen, lässt sich daraus schließen, das AICAR in der Lage ist ein breites Spektrum von trainings-typischen Adaptionen in der Skelettmuskulatur auszulösen.“ – (2)

Kandidat #2: GW501516

Hinter der Bezeichnung GW501516 verbirgt sich ein Produkt, welches erstmalig von GlaxoSmithKline (GSK) auf den Markt gebracht wurde, um das metabolische Syndrom (Übergewicht, Bluthochdruck, hohe Blutfettwerte, Diabetes) zu behandeln. Mittlerweile fand man heraus, dass GW501516 intrazelluläre Hormonrezeptoren der PPAR-Familie aktivieren (das steht für „Peroxisom-Proliferator-aktivierte Rezeptoren“ und es gibt unterschiedliche Subtypen dieser Rezeptoren, die sich in verschiedene Gewebetypen finden), welche den Glukose- und Fettstoffwechsel beeinflussen.

Die Aktivierung dieser Rezeptoren – die durch Sport und körperliche Anstrengung ebenfalls getriggert werden – hat auch eine Beeinflussung auf genetischer Ebene (Gen-Expression) zur Folge.

Kandidat #3: Compound 14

Hinter Compound 14 verbirgt sich eine von Ali Tavassoli (Professor für chemische Biologie an der University of Southampton, England) synthetisierte Substanz, die in der Lage ist ein Enzym namens ATIC zu hemmen.

Wird ATIC gehemmt, so sorgt dies für eine ansteigende Konzentration von ZMP (5-aminoimidazole-4-carboxamide ribonucleotide) in den Zellen (4), da es nicht mehr zu IMP transformiert werden kann. Dies sorgt wiederum dafür dass AMPk aktivert wird – und du weißt was die Aktivierung von AMPk bedeutet oder? Richtig, die Zelle denkt es herrscht ein Energiemangel. Dies sorgt dafür, dass sich der Zellstoffwechsel beschleunigt und zusätzliche Glukose aufgenommen wird.

In einem Experiment an (pre-diabetischen) Mäusen konnte bereits nachgewiesen werden, dass Compound 14 den Blutzucker reguliert und auf ein annährendes Normalniveau runterbringt (5).

„Es gibt eine Menge Beweise aus vorherigen Studien, worauf man schließen kannn, dass die selektive Aktivierung von AMPK mit einem kleinen Molekül für potenziell vorteilhafte Effekte bei der Behandlung unterschiedlicher Krankheiten, darunter Diabtes Typ 2, haben könnte, indem es als Sportmimetika wirkt und damit die Aufnahme und Nutzung von Glukose und Sauerstoff in den Zellen verbessert.“ – (2)

Abschließende Worte

Die Aussichten sind bis dato rosig, auch wenn ich keineswegs so weit gehen und behaupten würde, dass eine „Sportpille“ – jedenfalls in den nächsten Jahrzehnten – ein realistisches Endprodukt ist. Klar, einige der Substanzen haben ein interessantes Wirkungsspektrum, dass sie mit körperlicher Ertüchtigung gemein haben, aber um die umfassende Kaskade des Trainings durch derartige Produkte zu simulieren? Davon sind wir noch weit weit weg.

Es dürfte schwierig werden alle Effekte des Trainings über eine Sportpille zu bekommen - und seien wir doch mal ehrlich: Wäre das wirklich eine Alternative für dich? Worin liegt der Reiz, wenn man es sich Kraft, Vitalität und Fitness nicht verdienen muss?

Es dürfte schwierig werden alle Effekte des Trainings über eine Sportpille zu bekommen – und seien wir doch mal ehrlich: Wäre das wirklich eine Alternative für dich? Worin liegt der Reiz, wenn man es sich Kraft, Vitalität und Fitness nicht verdienen muss? (Bildquelle: Fotolia / ra2 studio)

Wie immer ist das Missbrauchspotenzial hoch – das gilt nicht nur für Athleten, die im Wettbewerb zueinander stehen, sondern auch für Freizeitsportler und Hobbyathleten, die so viel wie möglich aus der investierten Zeit und Arbeit herausholen möchten. Aus diesem Grund ist es überaus wichtig die Nebenwirkungen derartiger Supplemente und Pharmaka zu minimieren, aber auch Missbrauch vorzubeugen. Gesundheitlich wie leistungsbezogen dürften vor allem jene Menschen von einer solchen Sportpille profitieren, die nicht in der Lage sind sich sportlich zu betätigen (darunter z.B. auch Rollstuhlfahrer oder bettlägrige Personen)

Egal ob die Sportpille kommt oder nicht: Das intensive körperliche Training, die Freude an der Bewegung und das Gefühl etwas Großartiges vollbracht zu haben (PR!) wird sie nicht ersetzen können. Ein Behelfsmittel vielleicht, ein vollständiger Ersatz? Eher nicht. Und auch dann eher als Notlösung…

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Quellen & Referenzen

(1) Li, S. / Laher, I. (2015): Exercise Pills: At the Starting Line? In: Trends in Pharmacological Sciences. URL: http://www.cell.com/trends/pharmacological-sciences/abstract/S0165-6147%2815%2900187-X.

(2) Whiteman, H. (2015): Could a pill offer the same benefits as exercise? In: MedicalNewsToday.com URL: http://www.medicalnewstoday.com/articles/300335.php.

(3) McIntosh, J. (2015): Exercise in adolescence may reduce adult cancer risk, all-cause mortality for women. In: MedicalNewsToday.com. URL: http://www.medicalnewstoday.com/articles/297440.php.

(4) Ducker, GS. / Rabinowitz, JD. (2015): ZMP: A Master Regulator of One-Carbon Metabolism. In: Molecular Cell. URL: http://www.cell.com/molecular-cell/abstract/S1097-2765%2815%2900013-1.

(5) Asby, DJ., et al. (2015): AMPK Activation via Modulation of De Novo Purine Biosynthesis with an Inhibitor of ATIC Homodimerization. In: Chemistry & Biology. URL: http://www.cell.com/chemistry-biology/abstract/S1074-5521%2815%2900234-3.


Bildquelle Titelbild: Fotolia / sebra



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