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Entzündungen: Ein Hauptregulator für Muskelwachstum, über den kaum einer redet

Entzündungen: Ein Hauptregulator für Muskelwachstum, über den kaum einer redet

Entzündungen werden in der Regel als etwas Schlechtes / Unerwünschtes angesehen, dass man um jeden Preis hemmen sollte. Dieser Ruf ist jedoch komplett unbegründet und indem man Entzündungen auf diese Art und Weise behandelt, kann es auf direktem Wege zu einer Reduktion des Muskelwachstums führen.

In diesem Artikel werde ich die Beziehung zwischen Entzündungen und Muskelwachstum aufzeigen, sowie zahlreiche praktische (und wichtige) Anwendungsmöglichkeiten diskutieren.

Entzündungen: Ein Hauptregulator für Muskelwachstum, über den kaum einer redet

Was sind Entzündungen?

Ähnlich wie auch Cortisol, genießen Entzündungen einen Ruf, den man in seiner Essenz als schlecht bezeichnen würde – dennoch sind sie für unseren Körper erforderlich und bieten einige wünschenswerte Effekte. Entzündungen („Inflammation“) stellt im Grunde genommen ein Signal für das Immunsystem dar, mit dem es darauf hingewiesen wird, dass es einem bestimmten Areal des Körpers seine Aufmerksamkeit schenken sollte. Daher sind Entzündungen als ein Teil der Reaktion des Immunsystem zu verstehen, bei dem es darum geht einen Schaden zu beheben oder sich von Dingen zu entledigen, die dort nicht hingehören, z.B. Viren.

Entzündungen finden infolge von Infektionen statt, aber sie lassen sich nicht nur auf Infektionen beschränken. Daher ist es in manchen Sprachen (wie z.B. dem Niederländischen) eigentlich falsch, wenn man das Wort „Infektion“ für alle Entzündungsreaktionen des Körpers verwendet. Der Mangel eines Wortes für Entzündung im Niederländischen ist eine perfekte Illustration darüber, wie stark vernachlässigt dieses Thema eigentlich ist.

Was haben Entzündungen mit Muskelwachstum zu tun?

Krafttraining ruft eine nicht unerhebliche Menge an Entzündungsreaktionen im Muskelgewebe hervor – ein Ergebnis der Schäden, die Muskelfasern infolge des Trainings erleiden. Diese entzündlichen Signale initiieren Muskelreparatur und -wachstum.

Interleukin-6 (IL-6) ist eine Schlüsselvariable in der Entzündungsregulation bei der Reparatur von Muskulatur. Es gibt mehrere Interleukine und es handelt sich dabei um sogenannte Zytokine: Kleine Proteine, die als Signalmoleküle agieren. IL-6 ist deswegen so interessant, weil es ein pro-entzündliches Zytokin im Blut ist, aber gleichzeitig als anti-entzündliches Myokin als Reaktion auf Muskelkontraktionen ausgeschüttet wird.

Ob IL-6 nun pro- oder anti-entzündlich wirkt, hängt im Wesentlichen von seiner Konzentration ab und ob es durch Muskelkontraktionen stimuliert wurde (Myokin) oder durch Fettgewebe ausgeschüttet wurde (Zytokin). Eine hohe IL-6 Konzentration in Ruhe deutet auf eine chronische Entzündung hin (1) – ein generell unerwünschter Zustand, der zur Erosion vieler Gewebearten sowie einem überaktiven Immunsystem (Autoimmun) beiträgt. Chronische Entzündungen werden mit Gelenkverletzungen, niedrigen Testosteronspiegeln   und einer beeinträchtigten Fähigkeit für Muskelaufbau in Verbindung gebracht.

In einer 9-monatigen Studie an postmenopausalen, trainingserprobten Frauen fanden Forscher heraus, dass die Fettmasse des Torsos mit einer hohen IL-6 Konzentration in Ruhe und einer Beeinträchtigung des Muskelwachstum korreliert (3). Je höher die chronischen Entzündungsherde lagen, desto weniger Muskulatur bauten die Frauen auf.

Chronische Entzündungen, wie sie beispielsweise durch einen erhöhten C-reaktives Protein (CRP) Wert festgestellt werden, korrelieren ebenfalls negativ mit dem Muskelaufbau in einer Studie von älteren trainierenden Menschen, die hospitalisiert gewesen sind (4).

Man fand zudem heraus, dass eine pro-entzündliche Gen-Expression während einer Overreaching-Phase stattfindet und ebenfalls zu einem verringerten Muskelaufbau führt (verglichen mit einem Training, das weniger Volumen aufweist) (5).

Non-Responders für Krafttraining – das sind Leute, die trotz Training und einem guten Trainingsplan besonders schlecht an Kraft und Muskulatur zulegen – zeigen erhöhte Werte für TNA-α (6), einen weiteren Entzündungsmarker. Wenn du also das Problem hast, dass sich partout kein Muskelaufbau einstellen möchte, dann könnte es sein, dass in deinem Körper zu viele Entzündungen wuchern.

Basierend auf diesen Funden könntest du zu folgendem Schluss kommen: „Ah, jetzt verstehe ich! Entzündungen sind generell schlecht, darunter auch Muskelwachstum, also müssen wir sie um jeden Preis hemmen!“ Es zeigt sich jedoch, dass eine akute Erhöhung von IL-6 vorteilhaft ist, weil sie Satellitenzellen aktiviert und die Muskelreparatur initiiert (7).

IL-6 hat also eine ambivalente Funktion im Muskelaufbauprozess, was mit seiner dualen Natur in Sachen Entzündungsreaktion zusammenhängt: Kurze Steigerungen sind gut, aber chronische Erhöhungen sind zerstörerisch. Diese zweifache Natur von IL-6 wird perfekt in einer 4-monatigen Untersuchung in jungen, trainierenden Männern von Mitchell et al. (2013) illustriert: Hohe IL-6 Level in Ruhe sind negativ korreliert mit Muskelwachstum, doch eine Steigerung nach dem Training (post-workout) steht in einer positiven Beziehung zu Muskelwachstum (8).

Brad Pilon (Eat Stop Eat) stellte die Hypothese an, dass Entzündungen in einer Signal-zu-Lärm Beziehung mit Muskelwachstum stehen. Sie stellen im Grunde genommen ein Signal für Muskelreparatur dar, doch die chronische Erhöhung sorgt dafür, dass dieses Signal untergeht.

Nicht alle Entzündungen sind schlecht, doch wenn im Körper chronische Herde schwelen, kann Muskelaufbau beeinträchtigt werden, da die akute Reaktion "im Lärm" der chronischen Entzündungen untergeht. (Bildquelle: BayesianBodybuilding.com)

Nicht alle Entzündungen sind schlecht, doch wenn im Körper chronische Herde schwelen, kann Muskelaufbau beeinträchtigt werden, da die akute Reaktion “im Lärm” der chronischen Entzündungen untergeht. (Bildquelle: BayesianBodybuilding.com)

Dieses Schaubild zeigt, was mit einer Signal-zu-Lärm Beziehung gemeint ist. Anstatt dem Körper zu signalisieren, dass Muskeln in einem bestimmten Areal des Körpers repariert werden müssen, geht dieses Signal durch den „Lärm“ (die Präsenz) chronischer Entzündungsherde einfach unter, so dass es zu einer schlechteren Adaption infolge des Trainings kommt.

Die ambivalente Natur von IL-6 ist nicht einzigartig. Cortisol funktioniert auf eine ähnliche Weise, wenn es um Fettabbau geht: Kurze, akute Spitzen sind vorteilhaft, um Energiereserven zu mobilisieren, doch chronische Erhöhungen sorgen für eine Störung mehrerer Systeme im Körper und kommen damit Fettabbau ins Gehege.

Aufgrund dieser doppelten Natur von Entzündungen, wobei akute Steigerung gut und wünschenswert sind, während chronische Erhöhungen schlecht und schädlich für Muskelwachstum sind, besteht unser Ziel darin niedrige Entzündungskonzentrationen in Ruhe bei klaren akuten Post-Workout Spitzen für verbesserten Muskelaufbau zu erreichen. Hieraus ergeben sich zahlreiche Anwendungen für dein Training, deine Ernährung und Nahrungsergänzung. Wir werden nun 2 dieser unterschätzten Maßnahmen ein wenig erörtern.

Praktische Anwendung

Erstens: Vermeide Aufbauphase bei einem zu hohen Körperfettanteil

Chronische Entzündungsherde sind stark korreliert mit dem Körperfettanteil (9): Je fetter du bist (pardon), desto höher ist auch die Konzentration an Entzündungen im Körper (10).

Fettgewebe wirkt pro-entzündlich, indem es Zytokine ausschüttet. Da der Blutzucker in seiner Essenz entzündlich ist, trägt eine Insulinresistenz (durch einen zu hohen Körperfettanteil, insbesondere durch einen hohen Anteil an viszeralem Fettgewebe um die Leber herum) erschwerend zu diesem Problem bei, da es den Prozentsatz an chronischen Entzündungen weiter erhöht. Die Steigerung von IL-6 bei einem höheren Körperfettanteil kann das 2-4fache betragen und bewegt sich damit auf einem ähnlichen Niveau, wie die Steigerungen, die üblicherweise durch Krafttraining ausgelöst werden. Die chronische Erhöhung wird somit das Signal für Muskelreparatur maskieren.

Als Folge dessen wird es schwieriger an Muskulatur zuzulegen, sofern du über deinem idealen Körperfettanteil liegst. Der notorische „Permabulk“ vieler wirkt sich damit kontraproduktiv aus. Am Ende des obligatorischen Cuts (Diät & Definition) wirst du feststellen, dass du so gut wie keine Muskelmasse aufgebaut hast. Meiner Erfahrung nach ist dies einer der Hauptgründe dafür, wieso so viele naturale Trainierende so unerfolgreich beim „Bulken“ sind.

Was passiert eigentlich in der Muskulatur nachdem wir trainiert haben? Feine Mikrorisse sind nichts weiter, als innere Verletzungen des Körpers. Dies ruft das Immunsystem auf den Plan - es findet eine Entzündungsreaktion statt, deren Ziel die Reparatur der beschädigten Muskelfasern ist. Diese Entzündungsreaktionen sind erwünscht, da sie den Muskel stärker wiederaufbauen. (Bildquelle: Fotolia / Vasyl)

Was passiert eigentlich in der Muskulatur nachdem wir trainiert haben? Feine Mikrorisse sind nichts weiter, als innere Verletzungen des Körpers. Dies ruft das Immunsystem auf den Plan – es findet eine Entzündungsreaktion statt, deren Ziel die Reparatur der beschädigten Muskelfasern ist. Diese Entzündungsreaktionen sind erwünscht, da sie den Muskel stärker wiederaufbauen. (Bildquelle: Fotolia / Vasyl)

Zweitens: Vermeide Entzündungsreaktionen nicht unnötigerweise

Eine Vielzahl an Studien fand heraus, dass die Auswirkungen einer reichhaltigen Ergänzung mit Antioxidantien oder anti-entzündlichen Medikamenten (siehe diesen Artikel) in jungen Trainierenden zu einer Hemmung des Entzündungssignals führt, welches für Muskelreparatur verantwortlich ist . Die Folge ist ein verringertes Muskelwachstum und geringere Leistungssteigerungseffekte.

Die Forschung an älteren Trainierenden zeigte jedoch auch eine Steigerung des Muskelaufbaus, was vermutlich mit einer Reduktion der chronischen Entzündungsherde zusammenhängt (bei Erhaltung der akuten Entzündungsreaktion infolge des Trainings).

Daher musst du dir über alles im Klaren sein, was in der Lage ist die Entzündungsreaktionen zu hemmen, darunter befinden sich folgende Stolpersteine:

  • Die gängige Praxis, dass man für jedes kleine Wehwehchen und jede noch so kleine Verletzung zu Schmerzmitteln, wie Ibuprofen, greift (dabei handelt es sich in der Regel ohnehin um eine schlechte Strategie, wenn es um die Behandlung von Verletzungen und die Verdauungsgesundheit geht). Wenn du unbedingt schmerzstillende Mittel brauchst, dann versuche es zunächst mit Paracetamol.
  • Viele Multivitamine und Pre-Workout Supplemente enthalten lächerlich hohe Mengen an Vitamin C und E, wobei Studien gezeigt haben, dass die Einnahme dieser Substanzen um das Training herum in der Lage sind die Adaption der Muskulatur zu beeinträchtigen. Prüfe das Etikett genauestens! Alles, was mehr als 250mg Vitamin C enthält, stellt mit hoher Wahrscheinlichkeit, im Zeitfenster um das Training herum, eine schlechte Wahl dar. Pre-Workout Supplemente und Multivitamine weisen außerdem häufig eine schlechte Kombination aus Inhaltsstoffen und Dosierungen auf.
  • Kalttherapien „verbessern“ die Regeneration (denke an Eisbäder). Sie stellen jedoch oftmals eine schlechte Strategie dar, sofern du nicht gerade verletzt bist. Ja, sie hemmen Entzündungsreaktionen, doch das bedeutet auch, dass die Muskelreparatur beeinträchtigt wird. Die Kryotherapie kann Muskelwachstum auf direktem Wege negativ beeinflussen (12).

Abschließende Worte

Entzündungen sind nicht einfach nur schlecht und man muss sie nicht hemmen, wann immer es möglich ist. Sie sind vielmehr ein Teil des Muskelwachstumsprozesses und sofern man sie unnötigerweise hemmt kann es zu einer Reduktion der Fortschritte kommen. Auf der anderen Seite möchte man jedoch auch zu viele chronische Entzündungsherde vermeiden.

Idealerweise sollte dein Ziel darin bestehen chronische Entzündungen auf einem niedrigen Niveau zu halten und akute Spitzen nach deinem Training – für maximalen Muskelaufbau – zu erreichen.

Quellen, Referenzen & Weiterführende Literatur

(1) Fonseca, JE., et al. (2009): Interleukin-6 as a key player in systemic inflammation and joint destruction. In: Autoimmun Rev. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19189867.

(2) Maggio, M., et al. (2014): The Interplay between Magnesium and Testosterone in Modulating Physical Function in Men. In: Int J Eur Endocrinol. URL: https://www.hindawi.com/journals/ije/2014/525249/.

(3) Orsatti, FL., et al. (2012): Muscle mass gain after resistance training is inversely correlated with trunk adiposity gain in postmenopausal women. In: J Strength Cond Res. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21986696.

(4) Norheim KL., et al. (2017): Inflammation Relates to Resistance Training–induced Hypertrophy in Elderly Patients. In: Med Sci Sports Exerc. URL: http://journals.lww.com/acsm-msse/Abstract/2017/06000/Inflammation_Relates_to_Resistance.4.aspx.

(5) Stec, MJ., et al. (2017): Randomized, four-arm, dose-response clinical trial to optimize resistance exercise training for older adults with age-related muscle atrophy. In: Exp Gerontol. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28964826.

(6) Fisher, G. / Bickel, CS. / Hunter, GR. (2014): Elevated Circulating TNF-α in Fat-Free Mass Non-Responders Compared to Responders Following Exercise Training in Older Women. In: Biol. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4192627/.

(7) McKay, BR., et al. (2009): Association of interleukin-6 signalling with the muscle stem cell response following muscle-lengthening contractions in humans. In: PLoS One. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19554087.

(8) Mitchell, CJ., et al. (2013): Muscular and Systemic Correlates of Resistance Training-Induced Muscle Hypertrophy. In: PLoS One. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3793973/.

(9) Festa, A. (2001): The relation of body fat mass and distribution to markers of chronic inflammation. In: Int J Obes Relat Metab Disord. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11673759.

(10) Saito, I. / Yonemasu, K. / Inami, F. (2003): Association of Body Mass Index, Body Fat, and Weight Gain With Inflammation Markers Among Rural Residents in Japan. In: Circ J. URL: https://www.jstage.jst.go.jp/article/circj/67/4/67_4_323/_article.

(11) Merry, TL / Ristow, M. (2016): Do antioxidant supplements interfere with skeletal muscle adaptation to exercise training? In: J Physiol. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26638792.

(12) Yamane, M., et al. (2006): Post-exercise leg and forearm flexor muscle cooling in humans attenuates endurance and resistance training effects on muscle performance and on circulatory adaptation. In: Eur J Appl Physiol. URL: https://link.springer.com/article/10.1007/s00421-005-0095-3.


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