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Gentests: DNA-Testergebnisse beeinflussen die Physiologie

Gentests: DNA-Testergebnisse beeinflussen die Physiologie

Sei ehrlich: Hast du schon mal mit dem Gedanken gespielt, dein genetisches Setup mit Hilfe eines modernen Gentests analysieren zu lassen, um potenzielle Erkrankungen und Risiken in Erfahrung zu bringen, die dich in der Zukunft erwarten könnten?

Eventuell solltest du diese Büchse der Pandora verschlossen lassen – eine aktuelle Untersuchung, die kürzlich im Nature Human Behaviour veröffentlicht wurde, hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkungen die Kenntnis unserer genetischen Ausstattung (DNA) auf unsere Physiologie hat (1).

Das verblüffende (und faszinierende) Ergebnis zeigt, dass dieses neu erlangte Wissen bereits signifikante Auswirkungen auf den Körper haben kann auch wenn diese Kenntnis auf falschen Fakten basiert.

Gentests: DNA-Testergebnisse beeinflussen die Physiologie

Gentests auf dem Vormarsch: Immer mehr Menschen lassen sich testen

In den letzten Jahren konnte unzählige genetische Risikofaktoren identifiziert werden. Zusammen mit immer schnelleren, günstigeren und gleichzeitig genaueren DNA-Tests lassen sich immer mehr Menschen – beispielsweise auf das Risiko für eine Erkrankung an Alzheimer – untersuchen. Schätzungen zufolge hat in Amerika 2017 bereits jeder 25-zigste einen persönlichen Test machen lassen (2).

Gentests: DNA-Testergebnisse beeinflussen die Physiologie

Gesamtanzahl der Menschen, die einen Gentest von privaten Gentest-Unternehmen haben durchführen lassen, in Millionen. (Bildquelle: Technologyreview.com / ISOGG, Leah Larkin, Company Reports)

Mit welchem Hintergrund führen Wissenschaftler diese Tests durch? Sie erhoffen sich eine positive Veränderung des Lebensstils des Patienten; vor allem bei schlechten Testergebnissen.

Alternativ kann allerdings argumentiert werden, dass gerade schlechte Testergebnisse negative Einflüsse auf den Lebensstil haben können. Patienten sehen die Erkrankung außerhalb der Kontrolle und geben auf – vor kurzem berichteten wir bereits darüber, welche Auswirkungen das Aufgeben auf Leben und Tod haben.

Wie war die Studie aufgebaut & was wurde untersucht?

Die Studie „Learning one’s genetic risk changes physiology independent of actual genetic risk“, die an der Stanford University of California durchgeführt wurde, untersuchte das Thema Gentest (und dessen Implikationen) von einer ganz neuen Seite: Kann bereits das Erhalten von genetischen Risikoinformationen das Risiko selbst verändern?

Im Fokus der Untersuchung standen sowohl Placebo als auch Nocebo. Den 116 Teilnehmern der Studie teilte man mit, dass in dem Experiment die Beziehung zwischen DNA und Ernährung untersucht wird – im Fokus stand allerdings die Reaktion auf die Testergebnisse.

Im ersten Schritt mussten sich alle Probanden einem Fitnesstest unterziehen und eine Mahlzeit essen – anschließend wurden verschiedene Peptide untersucht, um zu messen, wie hungrig oder satt die Probanden waren. Zusätzlich wurden zwei verschiedene Gene untersucht, die mit sportlicher Leistungsfähigkeit und Übergewicht in Verbindung gebracht werden. Während des Tests konnten Unterschiede zwischen den Probanden festgestellt werden, die mit der Genaktivität in Verbindung gebracht werden können. Beispielsweise konnte bei Teilnehmern mit einer protektiven Version des sportlichen Gens bessere Leistungen festgestellt werden.

Eine Woche später wurden die Probanden für einen zweiten, gleichen Test eingeladen, bei dem ihnen zuvor die Ergebnisse des DNA Tests zur Verfügung gestellt werden. Die Wissenschaftler gaben teilweise bewusst falsche Informationen an die Probanden weiter – beispielsweise dachten Personen, deren Gene sie vor Übergewicht schützen, dass sie ein genetisch hohes Risiko für Übergewicht haben.

Gentests: DNA-Testergebnisse beeinflussen die Physiologie

Experimentelles Studiendesign: Im ersten Experiment untersuchten die Forscher die sportliche Leistungsfähigkeit und Herz-Kreislauf-Gesundheit der Probanden. Eine Woche nach dem Initialtest teilte man den Probanden mit, dass sie entweder den „high risk“ Genotyp oder den „protective“ Genotyp aufwiesen. Anschließend wiederholte man den Sporttest, um zu gucken, ob die Kenntnis eine Auswirkung auf die Physiologie haben würde. (Bildquelle: Turnwald et al., 2018)

Das zweite Experiment war ähnlich aufgebaut, wie das Erste. Untersucht wurde hierbei jedoch der Effekt auf die Sättigung. Und auch hier teilte man den Probanden vor dem Wiederholungstest, rund 1 Woche später, mit, ob sie den „high-risk“ oder „protective“ Genotyp besaßen. (Bildquelle: Turnwald et al., 2018)

Zu welchen Ergebnissen kam die Studie?

Die mitgeteilten Ergebnisse veränderten die Physiologie der Probanden signifikant. Teilte man den Probanden mit, dass sie Gene besaßen, die sie vor Übergewicht schützten, schüttete ihr Körper die 2,5-fache Menge an Sättigungshormon (GLP-1) aus (1).

Gentests: DNA-Testergebnisse beeinflussen die Physiologie

Die erhaltene Information bzgl. des genetischen Risikos verändert in Probanden die subjektive Sättigung (rechts) und Konzentration von Sättigungshormon (GLP-1; links). (Bildquelle: Turnwald et al., 2018)

Es zeigten sich sowohl physiologische als auch psychische Effekte: Probanden, denen gesagt worden ist, dass sie genetisch nicht für sportliche Aktivitäten prädestiniert sind, erzielten schlechtere Ergebnisse, als im ersten Test; die Lungenkapazität fiel geringer aus und der Körper wurde ineffizienter beim Ausstoß von Kohlendioxid. Die sportliche Leistungsfähigkeit der Probanden litt signifikant unter dem Wissen, dass sie genetisch nicht für sportliche Leistungen prädestiniert sind (1). Die Kontrollgruppe bestätigte diese Ergebnisse.

Gentests: DNA-Testergebnisse beeinflussen die Physiologie

Die erhaltene Information bzgl. des genetischen Risikos verändert in Probanden die Trainingskapazität und kardiorespiratorische Physiologie beim Lauftest. Zu sehen ist die Auswirkung des Informationsgehalts zum „high-risk“-Genotyp (rote Balken) Vs. des „protective“-Genotyps (blaue Balken. a.) & b.) = Ausdauer beim Laufen; c.) = subjektive Erfahrung/Wahrnehmung; d.) & e.) = wahrgenommene Schwierigkeit des Experiments. (Bildquelle: Turnwald et al., 2018)

Laut Bradley Turnwald gibt es sowohl in der sportlichen Leistungsfähigkeit als auch im Essverhalten interessante Effekte, die zeigen, dass Probanden mit dem – teils vermeintlichen – Wissen, genetisch schlechter aufgestellt zu sein, entsprechend andere körperlicher und psychologische Ergebnisse liefern.

“Merely receiving genetic risk information changed individuals’ cardiorespiratory physiology, perceived exertion and running endurance during exercise, and changed satiety physiology and perceived fullness after food consumption in a self-fulfilling manner. Effects of perceived genetic risk on outcomes were sometimes greater than the effects associated with actual genetic risk. If simply conveying genetic risk information can alter actual risk, clinicians and ethicists should wrestle with appropriate thresholds for when revealing genetic risk is warranted.”Turnwald et al., 2018

Was bedeutet diese Studienergebnisse für uns?

Noch können aus dieser Forschung keine Anwendungen für die Realität geschaffen werden, allerdings sind weitere Studien bereits geplant. Laut Alia Crum sollte der Fokus nun darauf liegen, herauszufinden wie Testergebnisse mitgeteilt werden können, ohne negative Effekte auf die Physiologie und Psychologie eines Patienten zu haben.

Definitiv zeigt die Studie aber, dass es nicht schaden kann, sich selbst zu fragen, ob man zu etwas nicht in der Lage ist, oder man sich mit einem eigens geschaffenen oder von der Gesellschaft gegebenen mentalen Modell selbst blockiert.

Gleichzeitig wirft dieses Studienergebnis Fragen auf, inwiefern solche Gentests (bzw. der Informationsgewinn, der damit einhergeht) gesundheitlich sinnvoll sind. Was passiert z.B. mit einem Menschen, der erfährt, dass er ein genetisch hohes Risiko für Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen besitzt? Hat diese Kenntnis eher positive oder negative Auswirkungen auf das restliche Leben der Person?

Diese Fragen können wir heute noch nicht mit Gewissheit beantworten, aber du solltest dir zumindest gut überlegen, ob du einen Gentest zum gegenwärtigen Zeitpunkt durchführen lässt oder nicht; das Ergebnis könnte dir nicht gefallen.

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Quellen & Referenzen

(1)  Turnwald, BP., et al. (2018): Learning one’s genetic risk changes physiology independent of actual genetic risk. In: Nat Hum Behav. URL: https://www.nature.com/articles/s41562-018-0483-4.

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Bildquelle Titelbild: Fotolia / stokkete

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