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Wie hoch ist mein Kaloriendefizit bzw. Kalorienüberschuss? Diese simple Methode kann dir dabei helfen deine tägliche Energieaufnahme präziser einzuschätzen

Wie hoch ist mein Kaloriendefizit bzw. Kalorienüberschuss? Diese simple Methode kann dir dabei helfen deine tägliche Energieaufnahme präziser einzuschätzen

Wenn das Gewicht in einer Diät partout nicht sinken bzw. während der Muskelaufbauphase steigen will, obwohl man die entsprechenden Maßnahmen (weniger / mehr essen und trainieren) ergriffen hat, dann kann das sehr frustrierend sein. Dabei ist es ein Leichtes, die Schuld für den ausbleibenden Erfolg auf äußere Umstände zu schieben und sich im Selbstmitleid zu verlieren, anstatt sich einzugestehen, dass der Fehler bei einem selbst liegt.

Die erfolgreiche Veränderung der Körperkomposition (↓Fett & ↑Muskeln) ist das Resultat einer langfristigen Kalorienbilanz, die entweder negativ (wenn du Gewicht/Fett reduzieren möchtest) oder positiv (wenn du Muskeln aufbauen möchtest) ist – dies lehren und die Gesetze der Thermodynamik, die auch auf den menschlichen Körper zutreffen (10).

Bei ausbleibenden Resultaten bekommt man als Außenstehender oft solche Aussagen zu hören, wie z.B. „Ich esse doch schon so wenig / so viel“ oder „mein Stoffwechsel ist einfach zu langsam / zu schnell.“ Doch wie viel ist eigentlich „so wenig“ bzw. „so viel“? Und auf Basis welcher Diagnose konstatiert man sich selbst einen (zu) langsamen bzw. schnellen Stoffwechsel?

Für jemanden wie mich, der sich bereits seit mehr als einem Jahrzehnt mit den Themen Training und Ernährung befasst hat, besteht die erste Reflexhandlung darin nach der täglichen Kalorienzufuhr und dem Energieverbrauch (Gesamtumsatz) zu fragen, denn wenn sich das Gewicht auf der Waage trotz Bemühung über mehrere Wochen nicht in die gewünschte Richtung bewegt, dann deutet dies darauf hin, dass kein ausreichend großes Kaloriendefizit (Diät) bzw. keine ausgeglichene Kalorienbilanz (Muskelaufbau) vorliegt. Dies ist jedoch eine zwingend notwendige Bedingung für kontinuierliche Fortschritte.

Das Tracking der täglichen Kalorienzufuhr und des Kalorienverbrauchs ist der zuverlässigste und schnellste Weg, um herauszufinden, wieso die Gewichtsabnahme bzw. -zunahme stagniert (auch wenn die Nährwertangaben auf der Produktverpackung nicht immer 100% genau stimmen und gewissen Schwankungen unterlegen sind (11)). Die penible Dokumentation der zugeführten Mahlzeiten und der verbrauchten Kalorien durch Bewegung und Aktivität liefert uns jedoch das erforderliche Zahlenwerk, auf dessen Basis wir Rückschlüsse darüber ziehen können, wieso sich die Körperkomposition so verändert, wie sie es eben in der Realität tut. Und dank entsprechender Apps, die man innerhalb weniger Augenblicke auf das eigene Smartphone ziehen kann (z.B. MyFitnessPal), war das Tracking noch nie so einfach, wie heute.

Und ja, es mag zu Beginn vielleicht aufwändig und nervig erscheinen, aber es gibt eine gewisse Lernkurve: Du erfährst sehr viel über die Nahrungsmittel, die du konsumierst und mit zunehmender Erfahrung wird dir das Tracking immer einfacher fallen, so dass du irgendwann die „Stützräder“ wieder abmachen oder den ganzen Prozess aufs Simpelste herunterbrechen kannst.

Veranschaulichung, wie der konzeptionelle Rahmen der National Institutes of Health für die Aufrechterhaltung der Gewichtsabnahme angepasst werden kann, um Ursache-Wirkungs-Modelle zu entwickeln, die beschreiben, wie sich die Gewichtsabnahme auf die Körperstruktur, die Körperfunktion und das Energiebilanzverhalten auswirkt, wie Ansätze zur Verhaltensänderung den physiologischen Widerstand gegen die Gewichtsabnahme vermitteln können und wer wahrscheinlich sein verlorenes Gewicht beibehält oder wieder erreicht. EE = Kalorienverbrauch; EI = Kalorienzufuhr. Zum Vergrößern, bitte hier klicken. (Bildquelle: Stubbs et al., 2019)

Underreporting & Overreporting: Eine fehlerhafte Einschätzung der täglichen Kalorienzufuhr und des Kalorienverbrauchs ist die Norm

Das simple Kalorienzählen stellt bereits für viele Individuen den ersten, wichtigen Schritt zur Überwindung einer Stagnation dar. Es kann jedoch Situationen geben, in denen das Tracking – aufgrund fehlender Präzision - nicht zum gewünschten Erfolg führt.

Damit meine ich Folgendes: Die meisten Menschen sind von Haus aus nicht besonders gut darin, die Kalorienzufuhr und den Kalorienverbrauch zu schätzen, insbesondere als „Laien“ (deshalb wird das Tracking der eigenen Ernährung und der Aktivität ja auch von Experten empfohlen. Es senkt die Fehlerrate). Wir neigen dazu die Energieaufnahme zu unterschätzen und den Kalorienverbrauch zu überschätzen – was in der Fachliteratur auch als „Underreporting“ bzw. „Overreporting“ bezeichnet wird und ein häufiges Problem in Ernährungs- und Diät-Studien ist (6)(7)(8).

So fanden Dahle et al. (2021) beispielsweise in einer Stichprobe mit 91 Teilnehmern heraus, dass das Personen, die nach einer erfolgreichen Diät ihr Gewicht halten konnten („Weight Loss Maintainers“, WLM, n=26), bei der Einschätzung ihrer täglichen Kalorienzufuhr um 915 bis 314 kcal/Tag daneben lagen (7). Sie unterschätzten die Energieaufnahme in einem ähnlichen Grad, wie überwichtige Probanden („Overweight/Obesity“, OC, n=32), die sich um 970 bis -18 kcal/Tag verschätzten. Die letzte Gruppe, normalgewichtige Individuen („Normal Body Weight“, NC, n=33), lagen dagegen um 471 bis -68 kcal/Tag falsch.

Vergleich der absoluten und relativen Genauigkeit der selbstberichteten Kalorienzufuhr (Energieaufnahme, EI) zwischen den Gruppen. Die Signifikanz wurde auf P<0,05 festgelegt. Die Kästen stellen den IQR (25-75 % der Datenpunkte) dar, die Linien innerhalb der Kästen den Median. Die gestrichelte Linie bei 0 kcal/Tag (kcal/d) stellt den erwarteten Medianwert bei genauer Kalorienzufuhr (EI) dar. WLM (n = 26); NC (n = 33); OC (n = 32). Absolute selbst angegebene EI-Genauigkeit berechnet als selbst angegebener EI - DLW TDEE. Relative selbstberichtete EI-Genauigkeit berechnet als [(selbstberichteter EI - DLW TDEE)/DLW TDEE] ∗ 100. NC = normalgewichtige Individuen; OC = Übergewichtige Individuen; WLM = Individuen, die ihr Gewicht nach einer Diät halten konnten. (Bildquelle: Dahle et al., 2021)

Vergleich der absoluten und relativen Genauigkeit der selbstberichteten Kalorienzufuhr (Energieaufnahme, EI) zwischen den Gruppen. Die Signifikanz wurde auf P<0,05 festgelegt. Die Kästen stellen den IQR (25-75 % der Datenpunkte) dar, die Linien innerhalb der Kästen den Median. Die gestrichelte Linie bei 0 kcal/Tag (kcal/d) stellt den erwarteten Medianwert bei genauer Kalorienzufuhr (EI) dar. WLM (n = 26); NC (n = 33); OC (n = 32). Absolute selbst angegebene EI-Genauigkeit berechnet als selbst angegebener EI - DLW TDEE. Relative selbstberichtete EI-Genauigkeit berechnet als [(selbstberichteter EI - DLW TDEE)/DLW TDEE] 100. NC = normalgewichtige Individuen; OC = Übergewichtige Individuen; WLM = Individuen, die ihr Gewicht nach einer Diät halten konnten. (Bildquelle: Dahle et al., 2021)

Anteil der „Underreporter“ in den einzelnen Gruppen. Teilnehmer mit einem Verhältnis zwischen selbst angegebener Kalorienzufuhr und dem täglichen Gesamten-Energieverbrauch von doppelt- markiertem Wasser (doubly labelled water) von <0,674 wurden als "Underreporter" eingestuft. NC = normalgewichtige Individuen; OC = Übergewichtige Individuen; WLM = Individuen, die ihr Gewicht nach einer Diät halten konnten. (Bildquelle: Dahle et al., 2021)

Anteil der „Underreporter“ in den einzelnen Gruppen. Teilnehmer mit einem Verhältnis zwischen selbst angegebener Kalorienzufuhr und dem täglichen Gesamten-Energieverbrauch von doppelt- markiertem Wasser (doubly labelled water) von <0,674 wurden als "Underreporter" eingestuft. NC = normalgewichtige Individuen; OC = Übergewichtige Individuen; WLM = Individuen, die ihr Gewicht nach einer Diät halten konnten. (Bildquelle: Dahle et al., 2021)

Stell dir vor, du bekommst die Empfehlung, dass du während deiner Diät ein Kaloriendefizit von 500 kcal/Tag aufrechterhalten sollst. Eine Veränderung auf der Waage bleibt nach Tagen und Wochen aus, weil du deine tägliche Kalorienzufuhr bzw. den Energieverbrauch falsch eingeschätzt hast. Wenn du dich, wie einige Individuen in der Studie von Dahle et al. (2021), um 915 kcal/Tag verschätzt hast, dann befindest du dich nicht nur nicht in einem Kaloriendefizit, sondern bewegst dich stattdessen sogar in einem Kalorienüberschuss (d.h. das Gewicht dürfte langfristig sogar noch steigen).

Solche Werte mögen für viele von uns überraschend sein, stellen aber keine große Besonderheit dar. Selbst Fachpersonal, wie z.B. Ernährungsberater, die eigentlich mehr Erfahrung auf diesem Gebiet haben sollten, verschätzen sich um mehrere hundert Kilokalorien pro Tag, wenn sie Angaben zu ihrer eigenen Ernährung machen müssen (14). Dieser Aspekt wurde in einem anderen Beitrag bereits ausführlicher beleuchtet – du findest ihn hier.

Ein praktisches Modell zur präzisieren Einschätzung der individuellen Kalorienaufnahme

Um das Problem des Underreportings bzw. Overreportings zu umgehen, nutzen Ernährungs- und Diätstudien häufig ein bestimmtes Verfahren mit doppelt-markiertem Wasser, um die Kalorienangaben von Probanden zu überprüfen (genau das haben Dahle et al. (2021) in ihrer Untersuchung gemacht.

Studienteilnehmer trinken Wasser, welches über zwei stabile Isotope verfügt, deren Ausscheidung man über mehrere Tage (meist 1-2 Wochen) nachverfolgt, um die Kohlenstoffproduktion zu evaluieren. Diese Größe erlaubt es den Wissenschaftlern anschließend die Anzahl der täglich verbrannten Kalorien zu ermitteln. Unter Berücksichtigung der Kalorienangabe des Individuums und der Veränderung des Körpergewichts lässt sich so nachvollziehen, ob die angegebene Kalorienzufuhr plausibel erscheint oder ob die Rechnung nicht aufgeht.

In der Praxis wäre es natürlich sinnvoll, wenn uns eine solche Methode zur Verfügung stehen würde, damit wir selbst überprüfen können, ob unsere eigenen Angaben stimmen oder ob sie fehlerhaft sind. Das Problem ist jedoch, dass dieses Verfahren überaus teuer ist und damit häufig nur Laboren zur Verfügung steht, die sich mit der Thematik eingehender befassen.

Und tatsächlich gibt es eine günstigere (kostenlose) Alternative in Form eines mathematischen Modells, welches den Energiestoffwechsel und die Veränderung des Körpergewichts berücksichtigt, um eine leicht nachzuvollziehende Schätzung der täglichen Kalorienzufuhr durchzuführen. Dieses Modell wurde von Dr. Kevin Hall, einem renommierten Wissenschaftler auf diesem Gebiet, in einem Paper diskutiert, welches uns einen wertvollen Dienst erbringen kann (1).

Wir werden uns im Zuge dieses Beitrags etwas näher mit dem Modell von Dr. Hall befassen und du wirst erfahren, wie du mit Hilfe eines kleinen, aber nützlichen, Excel-Dokuments eine eigene, individuelle (dynamische) Einschätzung deines Kaloriendefizits bzw. Kalorienüberschuss erhalten kannst. (...)


Dieser Artikel erschien in der 01/2022 Ausgabe des Metal Health Rx Magazins.

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Bildquelle Titelbild: depositphotos / AndreyPopov


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